Es geht nur gemeinsam! Und alles hängt mit allem zusammen. Über 200 Ingenieure, Techniker, Kaufleute und Wissenschaftler zeigten am 5. und 6. Dezember 2019 auf der 29. Dresdner Verpackungstagung, wie sich die Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung bewältigen und in Chancen verwandeln lassen.
Circular Economy und Digitalisierung
Chance oder Risiko für die Verpackungsindustrie?
»Im Moment reden eigentlich alle nur noch über Kreislaufwirtschaft. Das überlagert alles. Digitalisierung ist im Vergleich dazu nur noch ein Randthema«: Zum Start seiner Keynote wies Matthias Giebel (Partner der Berndt+Partner Group) auf das aktuelle Ungleichgewicht der beiden Game-Changer-Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit hin. Giebel gab den Teilnehmern in der Folge einen Überblick zur Entwicklung des Konzepts und des Begriffs der Nachhaltigkeit, beleuchtete, wie das Thema gesellschaftlich und politisch diskutiert wird, welche konkreten Maßnahmen, Folgen und Chancen sich daraus ergeben und wie die Digitalisierung Nachhaltigkeitsbestrebungen unterstützen kann.
Zu den Kernaussagen des spannenden Vortrags gehörte, dass eine rein betriebswirtschaftliche Bilanzierung nicht mehr zeitgemäß sei, da der Wert eines Unternehmens auch Beiträge für Umwelt und Gesellschaft umfassen müsse. Die deutsche Wirtschaft nehme in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle ein. Grundsätzlich müsse sich aber jedes Unternehmen fragen, was die eigenen Chancen und Risiken in Bezug auf Nachhaltigkeit seien und wie sich diese nutzen bzw. bewältigen ließen.
Nach Ansicht von Giebel wird der »Green Deal« Europa neu gestalten. Kreislaufwirtschaft werde zum Jobmotor, da ohne Kreislaufwirtschaft keine Klimaneutralität zu erreichen sei und Europa über die dazu nötige Sammel- und Recycling-Technologie verfüge. Folgerichtig konzentrierten sich auch Investments, wie beispielsweise von der Europäischen Investitionsbank, vollständig auf »grüne Projekte«. Diese Art der Lenkungsfunktion werde in Zukunft weiter zunehmen. Aber auch private Investoren würden in Zukunft verstärkt einen Bogen um risikobehaftete, fossile Produktionsverfahren machen.
Im Zuge seiner Betrachtung der »News Plastics Economy« und ihren Herausforderungen und Entwicklungen legte Giebel dar, dass die Verpackung nicht folgenlos zum Vorreiter bei der Kreislaufwirtschaft werde. »Vorreiter bedeutet auch: Wir sind dem größten Druck ausgesetzt.« Digitalisierung könne hier helfen, Potenziale zu heben. Beispielsweise über Plattformen, die Transparenz und Effizienz erhöhen oder über Standardisierungen von Packstoffen und Packmitteln zur Komplexitätsreduzierung. In seinem Fazit betonte Matthias Giebel vor allem die Chancen, die Nachhaltigkeit biete. »Das Risiko liegt woanders. Denn wenn wir es nicht machen, dann können wir nur noch die Deiche erhöhen. Lassen Sie uns nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein.«
Die dm-Rezyklatinitiative als Beitrag zur Circular Economy
Dagmar Glatz (Verpackungsverantwortliche des Drogeriekonzerns dm-drogerie markt) stellte die dm-Rezyklatinitiative und das Projekt »Forum Rezyklat« vor. Beides solle ein Beitrag zu mehr Ressourcen-, Umwelt- und Klimaschutz sein mit dem Ziel, »auch unsere Kunden zu ermächtigen, bewusst Entscheidungen für ein gutes Leben zu treffen«, so die Verpackungsverantwortliche. Zu den Hemmnissen, die man im Rahmen des Forums angeht, gehört nach Glatz Aussage, dass bis dato nur lebensmittelkonformer Kunststoff in der Verpackung eingesetzt werde, die Verfügbarkeit von hochwertigen Rezyklaten unzureichend und lediglich ein existierender Kunststoff-Rezyklat-Standard vorhanden sei.
Das als Plattform angelegte »Forum Rezyklat« umfasst inzwischen 30 Partner aus den Bereichen Industrie, Marken, Entsorger und Händler. Bewusst habe man bei dm auch andere Händler eingebunden, sagt Glatz: »Es funktioniert nur gemeinsam. Der Kreislauf lässt sich nur gemeinsam schließen. Und wir müssen voneinander lernen.« Deshalb gehörten auch Wissens- und Know-how-Transfer, beispielsweise zum Thema »Design4Reycling«, zu den Aktionsfeldern.
Als entscheidenden Ansatzpunkt gegenüber den Konsumenten bezeichnete Glatz die Aspekte Kommunikation und Kennzeichnung. Deshalb lobe man Verpackungen mit einem Rezyklatanteil von mindestens 70% am POS gesondert aus und hebe sie hervor. Konsumenten erhielten aber nicht zur Informationen zum Rezyklatanteil, sondern auch zum leichteren Trennen der Materialien. Konsequent spreche man gegenüber den Verbrauchern nicht mehr von Müll, sondern nur noch von Wertstoffen. Eine für Dagmar Glatz zentrale Unterscheidung, die in unsere Köpfe müsse und die von den dm-Kunden sehr gut angenommen werde.
Im Zuge der Diskussion mit den Teilnehmern wies Dagmar Glatz auf die Verpackungsblase hin, in der wir, als Verpackungsprofis, lebten. So zeige sich, dass die ausgelobten Produkte von den Konsumenten bisher nicht stärker gekauft würden als andere. Treiber seien vielmehr die Hersteller, die ausgelobt sein wollten. Der Konsument interessiere sich dagegen wenig um Details, die er oft auch gar nicht verstehe. »Das beginnt schon bei grundlegenden Dingen, wie dem Wissen, dass konventioneller Kunststoff aus Mineralöl hergestellt wird«, so Glatz. »Trotzdem lohnt sich die Anstrengung rund um die Rezyklatverwendung, denn das wird in Zukunft der Marktstandard sein. Wer dann nicht dabei ist, macht kein Geschäft.«
Nachhaltige Verpackungslösungen für den Kosmetikbereich
Michael H. Becker (Head of Global Packaging der Beiersdorf AG) bezeichnete das Thema Nachhaltigkeit als das aktuell wichtigste Thema bei Beiersdorf überhaupt. Das gelte gleichermaßen für Produkte und Formulierungen wie für Verpackungen. Auf Materialseite stehe rPE aber auch das Recycling von PP im Mittelpunkt. Hier sei »food grade«-Qualität nur in geringen Mengen verfügbar und der Entwicklungsaufwand für »non food grade«-Qualitäten gleichzeitig sehr hoch. Außer Frage steht für Becker, dass es »nicht ohne starke Partner geht. Wir sprechen mit Recyclern, Start-ups und Materialherstellern und versuchen, die Wertschöpfungskette möglichst umfassend und bis zu ihren Anfängen einzubeziehen.«
Die Konsumentenperspektive bezeichnete Becker als weitgehend verschwommen und oszillierend zwischen Aspekten wie »natürlich«, »frei von« und »nachhaltig«. Wenn die Verpackung allen diesen Ansprüchen genügen wolle, sei das »nicht einfach«. Aber auch auf Kundenseite gebe es starke Veränderungen: »Die Kunden sind immer besser informiert.« Ein klares Nein formulierte er zur vollständigen Abkehr von Kunststoff: »Wir werden weiterhin Kunststoff einsetzen, weil es eines der nachhaltigsten Materialien ist. Aber wir müssen nachhaltiger damit umgehen«. Auch wenn der Argwohn gegenüber Kunststoff nicht immer in die richtige Richtung gehe, müsse man die Position der Konsumenten annehmen. Über Kunststoff hinaus arbeite man bei Beiersdorf jedoch auch an mehr Nachhaltigkeit für Packstoffe wie Aluminium und Glas, beispielsweise über neue Produktionstechniken für geringeren Materialeinsatz oder eine verantwortungsbewusste Beschaffung der Rohstoffe.
Einen spannenden Einblick erhielten die Teilnehmer der Tagung schließlich in das Mehrweg-Projekt »Loop«, an dem Beiersdorf in Frankreich teilnimmt. In dem branchenübergreifenden Projekt werden gebrauchte Verpackungen gesondert gesammelt, gereinigt und wiederbefüllt.
Als Start-up auf dem Weg zu nachhaltigen Verpackungslösungen
Ein spannendes Beispiel für die Bedeutung von Verpackungen für Start-ups im Lebensmittelbereich und die komplexen Wege, die dabei zu beschreiben sind, gab Anja Kreienberg (Projektmanagerin Wildcorn GmbH). Für Kreienberg ist die Verpackung das, was am Ende von den Wildcorn-Knabbersnacks übrigbleibt. Man habe sie deshalb von Anfang an konsequent als Wertstoff betrachtet und gleichzeitig erkannt, dass Nachhaltigkeit den Ansprüchen nur genüge, wenn sie gleichzeitig auch ökonomisch und produktgerecht sei.
Im Spannungsfeld der oft schwer identifizier- und definierbaren Eigenschaften für Nachhaltigkeit habe sich Wildcorn letztlich auf den Aspekt der Kreislauffähigkeit als Leitwert entschieden. Die entwickelte Verpackung, die aus einem OPP/OPP-Monomaterialverbund mit Hochbarriere besteht, kommt im 1. Quartal 2020 auf den Markt. Um anderen Start-ups und Unternehmen einen Teil des schwierigen Weges bei der Suche nach ihrer nachhaltigen Verpackung zu ersparen, habe man das »Future Packaging Forum« ins Leben gerufen. Die Plattform sei offen für Interessierte und diene der Vernetzung von Industrie, Innovationen und Kunden.
Circular Economy und Druckfarben
Lösungsansätze aus der Druckfarbenperspektive
Dr. Jörg-Peter Langhammer (Head of Global PSR + Sustainability, Siegwerk Druckfarben AG & Co. KGaA), gab den Teilnehmern derTagung einen spannenden Einblick in die Nachhaltigkeitsdiskussion aus Sicht der Druckfarbenindustrie. Am Beispiel eines exemplarischen Druckfarbenaufbaus legte Langhammer dar, dass es aus Nachhaltigkeitssicht vor allem um die zu rund 15% enthaltenen Bindemittel und die etwa zu 8% enthaltenen Additive gehe. Das gelte »substratagnostisch«, d.h. unabhängig vom bedruckten Material.
Als zentrale Optionen für mehr Nachhaltigkeit nannte Dr. Langhammer die Reduzierung des Kunststoffeinsatzes sowie die Erhöhung der Recyclingfähigkeit von Kunststoff. Schlüsselaspekte für mehr Recycling und Kreislaufwirtschaft seien sichere Rohstoffe und sichere Produkte. Entscheidend für den Erfolg jedweder Maßnahme sei jedoch, dass man Nachhaltigkeit »nicht nur entscheidet und beschließt, sondern auch lebt. Das heißt, man muss es auch intern an die Mitarbeiter vermitteln – und zwar an jeden einzelnen. Man muss vermitteln, mitnehmen und befähigen, in der Systematik der Kreislaufwirtschaft zu denken.«
Dr. Langhammer ging in der Folge auf das Design für Kunststoff-Recycling ein, beleuchtete kritische Schritte im Polymer-Recycling, das mechanische Recycling, D4ACE-Leitfäden, den aktuellen Entwicklungsstand und Wege zur Erhöhung der Rezyklierbarkeit.
Einen weiteren, spannenden Themenblock eröffnete Langhammer mit seinem Blick auf die Aspekte Bioabbaubarkeit und Kompostierbarkeit, auch wenn das Druckfarben theoretisch nicht betreffe, da sie unter 5% einer kompostierbaren Verpackung ausmachten und deshalb von entsprechenden Anforderungen ausgenommen seien.
Im Ausblick am Ende seines Vortrags ging Langhammer auf die Themen Deinking (Entfärben) und Delaminierung von flexiblen Verpackungen ein. Hier habe Siegwerk etwas in Vorbereitung, speziell für Flaschenetiketten. Man überlege jedoch, ob daraus nicht auch ein Standardprozess werden könne. Grundlegend zeigte sich Langhammer überzeugt, dass Delaminierung und Deinking eine valide Option sind, Post Consumer Recyclat in den Kreislauf zu bringen.
Möglichkeiten der Substitution von Mehrschichtfolien
Dr. Warren Shaw (Vice President Innovation and Product Development, Huhtamaki Flexible Packaging Germany GmbH & Co. KG) untersuchte in seinem Vortrag die Möglichkeiten, Mehrschichtfolien zu ersetzen. Das sei, »was alle erwarten«. Shaw machte frühzeitig klar, dass keine Wunderlösung erscheinen werde, die alles klärt. Dafür seien nicht nur die Probleme zu komplex, sondern auch die heterogenen Szenarien und Herausforderungen auf den sehr unterschiedlich ausgebildeten und ausgestatteten globalen Märkten.
Shaw zeigte sich überzeugt davon, dass man flexible Verpackungen für eine Kreislaufwirtschaft komplett überdenken müsse – von der Art der Herstellung bis hin zu den Wegen der Verwertung. Hauptjob und Fokus von Huhtamaki sei es, recyclingfähige Verpackungen zu designen, während man gleichzeitig gemeinsam mit der Industrie an einer Verbesserung der Infrastruktur arbeite. In Shaws Diagnose akzeptiere der Markt gemischte Polyolefin-Strukturen als ersten Schritt. Aber das sei nicht die Zukunft, sondern eben nur der erste Schritt. Die Industrie werde in 10–15 Jahren zum Großteil aus Mono PP, Mono PE und Barrierepapier bestehen.
Für die Unternehmen der flexiblen Verpackung sieht Shaw mehr Chancen als Risiken und grundsätzlich viel Zukunft: »Ich glaube an die Flexible Industrie auch in Zukunft. Die Produkte sind billig, kosteneffizient und bieten viele Möglichkeiten für Nachhaltigkeit. Das große Problem ist aktuell die Kreislaufwirtschaft. Aber alles zusammengerechnet sind das perfekte Bedingungen für disruptive Innovationen. Wir haben ein grundsätzlich gutes und attraktives Produkt für den Markt, aber wir müssen jetzt dieses eine Problem Kreislaufwirtschaft lösen.«
Ein Jahr Verpackungsgesetz
Hat sich die Recyclingfähigkeit von Verpackungen verbessert?
Markus Müller-Drexel (Geschäftsführer des Tagungssponsors Interseroh Dienstleistungs GmbH) gab in seinem Vortrag nicht nur einen Überblick über Lenkungswirkung und Konsequenz des neuen Verpackungsgesetzes, sondern adressierte auch die aktuellen Herausforderungen in der Entsorgungswirtschaft. Der entscheidende Vorteil des Gesetzes sei, »dass wir in eine gemeinsame Diskussion über das Thema gekommen sind. Die Unternehmen wollen die Sicht der Recycler verstehen, um ihre Verpackungen zu verbessern. Der gesamte deutsche Einzelhandel hat das Thema an- und in seinen Einkauf mit aufgenommen. Wenn aber der Handel Partner wird und seine Erwartungen definiert, dann steigert das die Durchdringung und der Fortschritt macht sich bemerkbar«, so Müller-Drexel. Die Recyclingfähigkeit habe sich insgesamt bereits verändert. »Für einzelne Produkte ganz massiv, für die Gesamtmenge ist es eher noch überschaubar.«
Klare und deutliche Worte gab es vom Interseroh-Geschäftsführer auch zur Kostenthematik: »Wir leben in einer Wettbewerbsgesellschaft. Es hat immer etwas mit Preisen zu tun. Man braucht also den Mut, es anzupacken. Denn es kostet im ersten Schritt meistens mehr Geld. Alleine wir als Unternehmen haben im vergangenen Jahr 75 Millionen in unsere Anlagen investiert, um sie für das Gesetz funktionsfähig zu machen. Die Lösungen sind technisch vorhanden, aber sie müssen auch vom Kunden bezahlt werden. Deshalb brauchen wir Quoten und dadurch Investitionssicherheit«, so Müller-Drexel. Als mögliche, positive Option brachte Müller-Drexel einen gemeinsamen Fond ins Gespräch, aus dem heraus die Entwicklung von gut recyclingfähigen Verpackungen honoriert werden könnte.
Auch Müller-Drexel betonte die Bedeutung von Teamarbeit, vor allem aber die Einbindung der Konsumenten. »Die Frage ist: Wie können wir unsere Kunden mitnehmen? Dabei denke ich weniger an die Packmittelproduzenten und die Lizenznehmer, sondern an die Konsumenten. Denn sie sind die wichtigste ›Sortiermaschine‹, die wir haben. In den letzten 15 Jahren haben es die Recycler durch den Wettbewerb untereinander versäumt, den Endverbraucher gemeinsam zu schulen und mitzunehmen.« Abhilfe soll nun die groß angelegte Kampagne »Mülltrennung wirkt« erzielen, die in Pilotregionen schon gestartet wurde und 2020 überregional ausgerollt wird.
Digitale Transformation von Konsumgüter-Einkauf durch ECO RFID Tag Technologie und der »Neue Handel«
Andreas Kolb (Sales Manager Tags und Solutions des Tagungssponsors Stora Enso Intelligent Packaging) richtete den Blick der Tagung in seinem anschaulichen Vortrag auf die digitale Transformation des Markts für Consumer Packaged Goods durch RFID-Technologie im Allgemeinen und Stora Ensos Eco RFID-Technologie im Speziellen.
Mit der ersten Onlineseite von Amazon im Jahr 1995 habe sich Retail grundsätzlich verändert – und der Handel habe bis heute keine wirkliche Antwort darauf gefunden. Die ersten klassischen Retailer hätten ab 2003 mit RFID nachgezogen. Die Radio-Frequency-Identification-Technologie nutzt Radiowellen, um auf einem Tag gespeicherte Informationen auszulesen oder den Tag neu zu beschreiben. Schnelle Lese/Schreib-Geschwindigkeiten und keine Notwendigkeit für Sichtverbindung gehören laut Kolb zu den Vorteilen von RFID. Bei Stora Enso nutze man NFC für kurze und UHF für lange Lesereichweiten.
Am Beispiel für Fashion als größte RFID-Anwendung im Retail zeigte Kolb auf, dass Retailer ohne die Technologie nur 63–65% Überblick über ihren Lagerbestand hätten. Das sei in heutiger Zeit jedoch viel zu wenig »und der sichere Weg in die Pleite innerhalb von 1 bis 2 Jahren. Denn heute haben Retailer nicht mehr drei bis vier Kollektionen pro Jahr, sondern drei bis vier Veränderungen innerhalb jeder Kollektion.« Konsumenten würden heute alle Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten beim Kauf erwarten, „wann, wo und wie auch immer“. Ohne eine entsprechende, RFID-basierte, Logistik sei das nicht zu schaffen. Es lohne ein Blick nach China, wo Retailstrategien 15 Jahre voraus seien.
Als Beispiel für die Stora Enso Intelligent Packaging Lösungen zeigte Kolb unter anderem einen »unbemannten« Kühlschrank, der als komplett autonomer Mini-Supermarkt beispielsweise in Lobbys von Unternehmen oder Einrichtungen eingesetzt werde. »Da der Retailer online die Übersicht hat, weiß er, was er wann nachfüllen muss, kann MHD-Sonderaktionen starten oder auch Preise an bestimmten Orten höher ansetzen, wenn er sieht, dass bestimmte Produkte dort besonders gut laufen«, nannte Kolb einige der Geschäftsvorteile der Lösung.
Wohin die Entwicklung geht, wurde in Stora Ensos Eigenvision deutlich: »In 5–7 Jahren werden wir nicht mehr nur Kartonage ausliefern, sondern intelligente Kartonage, auf der die elektronischen Bauteile schon aufgedruckt sind«, so Kolb.
Die Zukunft des Einkaufens
Digital, analog oder beides?
Mit Frank Rehme (Geschäftsführer von Mittelstand 4.0 – Kompetenzzentrum Handel) starteten die Teilnehmer in den Tagungsfreitag. Rehme gab in seinem ebenso spannenden wie unterhaltsamen Vortrag Antworten auf die Frage, was den Shopper aktuell bewegt, wie man auf das Internet reagieren soll, was zu mehr Sichtbarkeit führt und welche Wege zu neuen Kunden führen.
Der deutsche Einzelhandel kann laut Rehme seit acht Jahren in Folge steigende Umsätze verzeichnen. Für 2019 werden EUR 537,4 Mrd. Umsatz erwartet, davon etwa 12% im Internet. Als Ursache für den relativ geringen Online-Anteil nannte Rehme die noch marginale Rolle beim Lebensmittelkauf. Bei Fashion hingegen betrage die Quote bereits 25%.
Leerstände in den Innenstädten lägen jedoch nicht am Internet, sondern an fehlenden Nachfolgern beim Handel und altbackenen Formaten, die nicht mehr »thrilling« seien. Besonders kleine Unternehmen würden abgehängt. Die Folge: Monotonie und Leerstand in den Innenstädten. Denn von insgesamt rund 410.000 Ladengeschäften seien es die 250.000 inhabergeführten, die für Leben und Diversität verantwortlich zeichneten.
»Abwarten ist keine Strategie«, so Rehme. »Der Handel ist heute nicht mehr der Versorger der Republik, sondern sieht sich der Aufgabe gegenüber, Menschen, die eigentlich nichts mehr brauchen, etwas zu verkaufen.« Rehme zitierte eine eBay-Studie, nach der jeder Haushalt durchschnittlich 217 ungenutzte Gegenstände im Wert von EUR 3223 beherberge. »Unsere Schränke und Regale sind voll. Wir schreiben kein Tagebuch mehr, wir kaufen Dinge, die uns an bestimmte Situationen oder Zeiten erinnern. Mit Verzweiflungstaten, Protesten und Fingerpointing auf böse Onlineshopper wird man nichts ändern. Bekannte Sätze der Branche wie ›Handel ist Wandel‹ und ›Darf es etwas mehr sein?‹ gelten heute mehr als früher. Der Handel muss Leute begeistern, nicht anklagen«, so Rehme, der in der Folge einige interessante Best Practice Beispiele zeigte.
Rehmes Ratschlag: Auf den Kontext achten, Vertrauen aufbauen, Relevanz haben, aktivieren, wahrnehmen und motivieren. Dafür brauche es jedoch auch das richtige Personal. »Das müssen Spezialisten sein, keine Aushilfen«, so der Geschäftsführer von Mittelstand 4.0 – Kompetenzzentrum Handel.
Analoge Verpackungsinnovationen für den E-Commerce
Volker Quaas (Design and Innovation Manager Deutschland/Schweiz, DS Smith Packaging Deutschland Stiftung GmbH & Co. KG) hob zum Start seines Vortrags die bis zu 50 Kontaktpunkte hervor, die Verpackung im E-Commerce Packaging Supply Cycle habe und die es zu nutzen gelte. In seiner Analyse der Bedeutung von Verpackungen im Onlinegeschäft unterschied Quaas die »ordentliche Verpackung«, die das Produkt schütze, von der »hervorragenden Verpackung«, die gleichzeitig auch die Marke schütze.
Grundlegende Merkmale einer solchen, hervorragenden Verpackung sind nach Quaas Ansicht die »neuen 5 easies für Verpackungen im E-Commerce: Die Verpackungen sind einfach zu beziehen, sie gestatten einfaches Verpacken und einfaches Versenden, sind einfach für den Verbraucher und einfach zu recyceln.« Bei der Entwicklung von innovativen Lösungen gebe es nur ein sehr kleines Fenster für Kreativität, das man im Kraftfeld von Marketingeinflüssen sowie Kundenerwartungen konsequent nutzen müsse.
Quaas zeigte in der Folge beste Lösungen von DS Smith Packaging, wie beispielsweise eine Tamper-Evident-Verpackung mit Diebstahls- und Originalitätsschutz durch ein schlichtes und cleveres Ampelsystem auf Kartonbasis. Andere Beispiele zeigten, wie sich Unboxing und Gifting erfolgreich verbinden lassen, wie Zusatznutzen einen Wow-Effekt verursachen kann und wie das Auspackerlebnis über Innendruck, Fixier- bzw. Schiebeschachteln gesteigert werden kann.
Eine neue Ära für Markenaktivierung und Markenschutz eröffnet in Quaas Augen der digitale Rollen-Vordruck. Über diesen könne jede Verpackung einzigartig gestaltet werden, was viel Mehrwert für Marke, E-Commerce und Omnichannel verspreche.
Bottling on demand
Flexibilität und Individualisierung in der Getränkeabfüllung
Stefan Pöschl (Head of CRD Technology Development, Krones AG) gab einen spannenden Einblick in ein Versprechen der Digitalisierung: Die Smart Factory. Flexibilität und Produktion on Demand erreicht Krones dabei über ein in der Feldtestphase befindliches Füllventil, das 13 unterschiedliche Getränke abfüllen kann, eine Verschließeinheit für vier Farben aufweist, im Direktdruck 12 Designs stemmen kann, für Erweiterungen in Modulbauweise angelegt ist und ein Transportsystem für die Produktion einschließt. In diesem Rahmen sei auch die Befüllung von Einzelflaschen inklusive Reinigung des Füllsystems möglich. »Wo man vorher 2 Stunden warten musste, bis das System bereit war, ein anderes Produkt einzufüllen, geht das jetzt im laufenden Betrieb – inklusive individuellem Verschluss sowie Etikett und ohne, dass Abwasser anfällt.«
Zu den Herausforderungen gehöre, die jeweiligen Verbrauchsmaterialien zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. Eine weitere Aufgabe, die gelöst werden müsse, sei die Qualitätskontrolle. Wo man vorher im großen Tank vor der Abfüllung geprüft habe, müsse das Produkt nun in der abgefüllten, verschlossenen Flasche geprüft werden.
Auf die Frage aus dem Plenum, ob Individualisierung wirklich die Zukunft der Verpackung im Getränkebereich sei, zeigte sich auch Pöschl gespannt – und kündigte gleichzeitig eine Markteinführung an: »Ob Individualisierung wirklich die Zukunft ist, das ist die große Frage. Wir haben aktuell ein großes Projekt in Vorbereitung, das im nächsten halben Jahr live geht. Dann werden wir sehen, ob der Zuspruch und die Nachfrage da sind.«
Digitalisierungslösungen in der Lebensmittelproduktion
Malte Schlüter (Director F&B / CPG, Mitsubishi Electric Europe B.V.) gab einen spannenden Einblick in das Thema Künstliche Intelligenz (AI) und wie sie helfen kann, zentrale Herausforderungen in der Getränke-, Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie zu bewältigen. An sich sei »Artificial Intelligence« kein neues Thema, so Schlüter. Seit den 1950er-Jahren bezeichne sie jede Technik, die Computer befähige, menschliches Verhalten nachzuahmen. Mit dem »Machine Learning« seien ab den 1980er-Jahren Techniken dazugekommen, die Computer die Fähigkeit geben, ohne explizite Programmierung zu lernen und besser zu werden. Als Untersegment des Maschinenlernens sei seit etwa zehn Jahren das »Deep Learning« hinzukommen, das die Berechnung von mehrschichtigen neuronale Netzwerken möglich mache.
Schlüter geht davon aus, dass AI zukünftig auf allen Ebenen einer Produktion existieren werde, da sie große Vorteile in der Reaktionszeit, dem Server- bzw. Netzwerkkosten und im Bereich Schutz und Sicherheit brächte.
Aktuell stünden allerdings noch 95% der Produktionsstätten auf dem ersten Level, auf dem lediglich beschrieben werde, was geschieht. Im Fall einer Maschine zum Beispiel, dass sie nicht (mehr) laufe. Im zweiten Level käme dann die Diagnostik hinzu, die beschreibe, wo der Fehler liege. Ziel sei jedoch Level drei, in dem eine Maschine bereits im Vorfeld warnt, dass sie gleich Probleme bekomme: »Spannend wird es, wenn mir die Maschine dann auch noch sagt, warum sie gleich Probleme haben wird, woran es liegt und – als letztliches Ziel – sogar in der Lage ist, sich selbst zu helfen«, so Schlüter.
Genau wie die Experten aus dem Nachhaltigkeitsbereich wies auch er darauf hin, dass es nie um eine einzelne Firma gehe, wenn man über Digitalisierung spreche. »Das ist keine One-Man-Show. Man braucht die richtigen Partner und ein passendes Ökosystem«, so Schlüter.
Kobots in der Verpackung
Mal anders gedacht!
Spannend und reich an Einblicken und neuem Wissen geriet auch der Abschlussvortrag der 29. Dresdner Verpackungstagung durch Volker Haaf (Zuständiger für Strategie- und Marketingmanagement des Tagungssponsors Gerhard Schubert GmbH). Bei Kobots handelt es sich um kooperative bzw. kollaborierende Roboter, die Menschen monotone oder körperlich schwere Arbeit abnehmen können und Handlungsalternativen angesichts des Arbeitskräftemangels versprechen. Ihre besonderen Fähigkeiten zeigen Kobots laut Haaf dort, wo neue oder schwierige Aufgaben zu erledigen seien. Auch der Aufbau kompletter Linien mit Kobots sei vorstellbar: »Sie brauchen dann halt deutlich mehr Platz, weil Kobots dafür konzipiert sind, selbstständig zu arbeiten.«
Schnell wurde klar, dass für die Entwicklung eines Kobots eine Reihe komplexer Anforderungen erfüllt werden müssen, denn neben dem reinen Kobot braucht es nach Auskunft von Haaf Kobot-Werkzeuge, Verbindungselemente, ein Vision- und ein Safety-System, reichlich Software, die entsprechenden Experten und viel interdisziplinäre Kompetenz.
Ein zentrales Thema war auch in Volker Haafs Vortrag das »Deep Learning«. Ziel von Schubert sei es, Kunden fertig trainierte neuronale Netze zu übergeben und auf den Roboter zu übertragen. »Der Kunde braucht die Technik für ›Deep Learning‹ also nicht selber zu entwickeln oder vorzuhalten«, so Haaf. Bei Schubert hingegen baue man die Kompetenzen systematisch aus. Erst jüngst habe man durch eine Übernahme einen neuen Standort in Dresden geschaffen, der sich speziell mit Software für Robotik mit optimierter Bewegungsplanung und vorbeugender Wartung befasse. Ein erstes Produkt aus dem Schubert Kobot-Baukasten, ein Pick-and-Place-System, wird im Mai auf der Interpack 2020 vorgestellt.
Fazit & Save the Date
»Der Dresdner Ehrenbürger Frank Richter prägte die klugen Sätze ›Kommunikation kann schiefgehen. Nicht‐Kommunikation geht schief.‹ Gerade in Zeiten, in denen Themen wie Kunststoff und Umweltverschmutzung, Diesel und Klimawandel oder Verpackung und Kreislaufwirtschaft im Brennpunkt stehen, müssen wir miteinander reden und um Lösungen ringen.« Mit diesen Begrüßungsworten hatte dvi‐Geschäftsführer und Tagungsmoderator Winfried Batzke die Teilnehmer zu Anfang begrüßt und dabei auf ein Zitat von Alexander von Humboldt hingewiesen, der als Erfinder wissenschaftlicher Netzwerke gilt: »Alles hängt mit allem zusammen.« Diese Erkenntnis hat sich auf der 29. Dresdner Verpackungstagung verfestigt. Passend dazu riefen Teilnehmer und Referenten unisono zu Teamarbeit entlang der Wertschöpfungskette, aber auch mit Konsumenten und allen anderen politischen und gesellschaftlichen Stakeholdern auf.
»Unser Job ist es, Impulse zu geben und die Richtigen zusammenzubringen«, sagte Winfried Batzke zum Abschluss. »Die Tagung hat gezeigt, wie das funktionieren kann. Sie hat einen unglaublichen Schatz an klugen und tollen Menschen zusammengebracht und dabei nicht nur viel fachliches Wissen vermittelt, sondern auch wichtige Kontakte ermöglicht und insgesamt die Freude wiederbelebt, über Verpackungen neu nachzudenken.«
Mit einem Dank an die Tagungssponsoren warf Winfried Batzke einen letzten Blick nach vorne: »Am 3. und 4. Dezember 2020 wird die Dresdner Verpackungstagung zum 30. Mal stattfinden. Es ist gut zu sehen, dass die traditionsreichste und älteste existierende Fachtagung rund um die Verpackung noch immer so nah am Puls der Zeit ist. Das wird ganz sicher auch nächstes Jahr so sein. Sie sind herzlich eingeladen!« (Fotos: André Wagenzik für dvi)