»Was wir gehört haben zeigt, dass der aktuelle Status des Digitaldrucks erst ein Anfang ist, aber wir haben auch einen Eindruck erhalten, wie unsere Industrie in Zukunft aussieht«, sagte Robert Bierfreund, Geschäftsführer des Dekordruckers Interprint und ERA Board Member, bei der Zusammenfassung des ersten Digital Forum der ERA, das am 19.–20. Juni in München stattfand.
Viele Teilnehmer aus der Tiefdruckindustrie und deren Zulieferer aus ganz Europa zeigten grosse Interesse am derzeitigen Status des Digitaldrucks und seine Perspektiven in den Druckmärkten. ERA Secretary General James Siever dazu: »Die Teilnehmer konnten interessante und ehrliche Präsentationen von Fachleuten verfolgen, die viele verschiedene Aspekte einer industriellen Nutzung von Digitaldruck aufzeigten.«
Oliver Baar (KBA Digital & Web Solutions) eröffnete die Konferenz mit der Aussage, dass Digitaldruck derzeit eher evolutionär als disruptiv sei und erklärte diesen Status mit dem Beispiel Dekordruck: Digitaler Inkjet ermöglicht kürzere Vorlaufzeiten für einen Markteintritt, schnelleren Durchsatz und kleine individuelle Jobs. Dennoch ist die Druckzeit nicht kürzer (schneller) und nicht günstiger als konventionelle Prozesse. Ausserdem muss die gesamte Organisation umgestellt werden, da nun mehr Jobs zu drucken sind. Und der Verkauf muss sich auf andere Verkaufsargumente einstellen, denn nun werden keine grossen Volumina verkauft.
Die Herausforderung des industriellen Digitaldrucks für eine Farbhersteller zeiget ADr. Eberhard Waldhör von der Schweizer Arcolor AG, die wasserbasierte Druckfarben für den Dekor- und Verpackungsdruck für konventionelles und digitales Drucken produziert. Kommerzieller Inkjetdruck ist noch immer in der Entwicklungsphase, und piezo-elektrische Druckköpfe mit Tintenumlauf sind die jüngste Entwicklung. Arcolor verfügt über umfangreiche Versuchsmöglichkeiten und setzt die gleichen Druckköpfe wie die Kunden ein. Enge Zusammenarbei und eine offene Kommunikation zwischen allen Beteiligten sidn Schlüssel für erfolgreiche Entwicklungen.
Christoph Kellermeier, Consultant im Bereich Beschichtungen und Primer, referierte über Primer für Digitaldruck. Industrieller Inkjet ist nicht ein »Plug and Play« Ersatz für konventionelles Drucken: Unterschiede bei den Farb-/Tinten-Eigenschaften – von der Rheologie über die Farbannahme bis zum Trocknen – können durch Primer oder durch eine Vorbehandlung des Bedruckstoffs – kompensiert werden. Zukünftig werden sich einige Primereigenschaften in die Farb-/Tinten-Eigenschaften oder die Oberfläche des Papiers integrieren lassen – abhängig von Volumenanforderungen für ein Produkt.
Jürgen Freier (HP) diskutierte »Überlegungen beim Einstieg in Digitaldruck« und wies auf die Gefahr hin, Produktprodukte als Commodity zu sehen. Die führe zu »bodenlosen« Preisen mit Insolvenzen und Konsolidierung. Die Anzahl der gedruckten Zeitschriftenseiten sei relative stabil geblieben, die Zahl der Zeitschriftentitel aber habe sich verdreifacht – Prozesse für geringere Volumen seien ein Vorteil. Und falls Digitaldruck von 3% auf 15% Marktanteil steige – wie man erwartet – entspräche dies in Wahrheit einer Zunahme von 500%. Ziel sei, Produkte zu definieren, die Emotionen entfachen – ganz gleich ob im Restaurant, Geschäften, Hotels oder zuhause. »Wenn Emotionen in Spiel kommen, wird nicht mehr so sehr auf den Preis geachtet, und die Margen explodieren.«
Prozess Standard Digital (PSD) war das Thema von Dr. Andreas Kraushaar von der Fogra. Nach dem erfolgreichen PSR (Process Standard Rotogravure) and PSO (Process Standard Offset) beschäftigt sich der PSD mit Ausgabe-Prozesssteuerung, Farbgenauigkeit und Workflowfragen. Fogra bietet ausserdem innerhalb des »FograCert ecosystem« eine Überprüfung der Einführung und eine Zertifizierung. Neue Bestandteile umfassen Farbvergleiche »Side-by-Side« als auch medienrelative Auswertungen sowie die Auswahl verschiedener Toleranzebenen (A/B/C) anstelle von einfachen Ja/Nein-Bewertungen.
Zwei Anwenderberichte
Malte Tadday (Interprint) berichtete über erste Erfahrungen mit der KBA Rotajet-Anlage. Aus Gründen der Stabilität sei ein Dauerbetrieb der Maschine wichtig; keine Stillegung über das Wochenende. Ausgiebiges Farbmanagement sei erforderlich falls digitale Daten vom Tiefdruck für Digitaldruck umgewidment werden sollen, z.B. unterschiedlicher Stufen beim ersten Farbton.
Dāvids Grāveris (Immer Digital, Ventspils/LT) berichtete über die Erfahrungen mit einer HP Indigo 20000 für flexible Verpackungen. Gedruckt wird mit der ElektroInk von HP Indigo (kein Inkjet) auf BOPP-Folien und Papier. Obwohl das Verfahren langsamer und teurer als Flexodruck ist, werden verschiedene Produkte angeboten – vor allem über eine speziellen Service für Start-ups in Verbindung mit dem Immer Digital Design Service – dies führe zu guter Kundenbindung. Der Einsatz der Mosaic-Software für variable Daten wurde z.B. für die Produktion von 20.000 verschiedenen Milchshake-Kartons oder 100 Variationen für eine Snackverpackungen auf einer Messe eingesetzt.
Digitaldruck erfordert ein entsprechendes Umfeld – eine Lektion die Dr. Michael Fries, CEO Onlineprinters, weitergab. Das Unternehmen druckt 1500 Produkte in 10 Millionen Versionen und produziert in Deutschland für Kunden in 30 Ländern. Das Geschäftsmodell beschäftigt sich mehr mit den »Transaktionskosten« als den »Produktionskosten«. Der Druck ist nur ein Aspekt in der Wertschöpfungskette. Ein Beispiel: In den Anfangstagen der Fotobücher wurden in der Regel 1–3 Exemplare eines vorgegebenen Inhalts gedruckt, alle Bücher hatten das gleiche Format, so dass alle Weiterverarbeitungsschritte und der Versand identisch waren. Da der Verkauf über das Internet läuft, konzentriere man sich eher auf das Marketing statt auf den Verkauf.
Schlussendlich referierte Prof. Tim Bruysten von der Düsseldorf University of Applied Sciences über die Megatrends des 21. Jahrhunderts. Digitalisierung nimmt zu: Computer haben den Menschen beim Schach und dem chinesischen Brettspiel Go geschlagen, und SD Speicherkarten fassen heute 1000 mal mehr Daten als vor zehn Jahren – 128 GB statt 128 MB. Die jährlich produzierte Datenmenge ist mittlerweile so gross, dass das Papier nicht ausreicht, sie in gedruckter Form zu speichern. Professor Bruysten empfiehlt als Gegenmassnahme »Lethargie«; die Gesellschaft sollte motiviert werden, ihre Arbeitsaktivitäten »spielerischer« zu gestalten, mit Fokus, Teamgeist, Regeln und Identifizierung, um Fortschritt zu erzielen. (Foto: ERA)