Einer der jährlichen Höhepunkte der Etikettenindustrie ist das AWA Label Release Liner Seminar, welches jedes Jahr unmittelbar vor Beginn der Labelexpo Europe bzw. Labelexpo Americas stattfindet. Viele Fachleute aus allen Bereichen der Branche nehmen teil, um sich zu informieren und auszutauschen. Ann Hirst-Smith berichtet

Die diesjährige Veranstaltung in Brüssel legte den Fokus auf den aktuellen Herausforderungen zum Thema Trägermaterial mit Diskussionsplattform für alle Bereiche der modernen Verfahrens- und Weiterverarbeitungstechnologien. Thema war auch der aktuelle Status des Recycling von verbrauchtem Trägermaterial und den mit der Haftetikettierung im Wettbewerb stehenden Möglichkeiten der Produktkennzeichnung und Produktdekoration.

Marktübersicht

Corey M. Reardon, Präsident und CEO von AWA Alexander Watson Associates, gab einen Überblick über den weltweiten Release-Liner-Markt – einer der Schwerpunkte der Marktforschungs- und Beratungstätigkeiten des Unternehmens. »Die Trägermaterial-Industrie gilt auf der Lieferantenseite als konsolidiert und auf der Abnehmerseite als stark fragmentiert/zersplittert« bemerkte er. »Es ist für die Verarbeiter sehr schwierig, Einfluss auf die Marktdynamik zu nehmen«. Haftmaterialien haben einen Anteil von 49% am gesamten Verbrauch an Trägermaterial. Nimmt man die Bereiche Nahrungsmittel und Getränke dazu stellen sie 37% des Endverbrauchermarktes.

Trägermaterialien müssen den Anforderungen an Effizienz moderner Weiterverarbeiter angepasst werden, so Mikko Rissanen, Leiter Business Development bei UPM Etikettenpapiere. Aus dem Forstwesen kommend hat UPM in vielen Bereichen – wie der Reduzierung des Basisgewichts – Pionierarbeit geleistet. Rissanen informierte über den aktuellen Forschungsstand im Bereich der vielversprechenden Nano-Cellulose Biofibrils- Technologie.

Linerless-Technologie

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Global Release Liner Märkte nach Region (Grafik: AWA)

Die Vorteile von Linerless-Selbstklebeetiketten waren Gegenstand einer lebhaften Podiumsdiskussion und einer von Roelof Klein, Kaufmännischer Leiter der auf Klebstoff- und Oberflächenbehandlung spezialisierten Maan-Gruppe, vorgetragenen Case Story über die Großlieferung von – nicht vorgestanzten – Thermo-VIP-Etiketten. Die Diskussionsrunde bestand aus dem Expertengremium Mike Cooper (Entwicklungsleiter Catchpoint Labels Ltd – Moderator), Jakob Landberg (Verkaufsleiter Nilpeter A/S) und Jeffrey Arippol (Präsident der brasilianischen Etikettendruckerei Novelprint) die sich ihr Noveltech Linerless-System patentiert liess. Interessante Einblicke entstanden – insbesondere im Hinblick auf die Aussage von Landberg über die »Wiederverwendung von Trägerfolie als Laminierfolie«. In diesem Fall wurde transparente Trägerfolie beschichtet und als Schutzlaminat auf die gedruckten Etiketten aufgetragen. Dies ist ein ausgezeichneter Beitrag zur Nachhaltigkeit. Laut Landberg wurde bei Nilpeter die Maschinentechnologie für diese Anwendung entsprechend modifiziert. Als Nachteil von Linerless wurde vom Publikum hervorgehoben, dass erfolgreich produzierbare Etikettenformen auf mehr oder weniger einfache Rechtecke beschränkt sind. Mike Cooper entgegnete, dass aufgrund von intelligentem Design und Druck – vor allem auf transparenten, folienbasierten Etiketten – dieses Argument heutzutage nicht mehr zähle.

End-of-Life-Lösungen

Die übergreifenden Themen Trägermaterial-Recycling und End-of-Life-Lösungen waren das Thema einer zweiten Podiumsdiskussion von Calvin Frost (Vorsitzender Channeled Resources Group, ein Unternehmen mit 40-jähriger Erfahrung auf dem Gebiet). Gemäß seiner Aussage haftet das Problem des Trägermaterial Abfalls hauptsächlich am Etikettendrucker, der die Etiketten für die Markeninhaber liefert. Stellvertretend für die gesamte Industrie, ergänzt Frost: »Wäre es nicht toll, eine Lösung anzubieten?« Weitere Diskussionsteilnehmer waren Petri Tani, (Geschäftsführer Cycle4Green); Ernst Brunbauer (Geschäftsführer Lenzing Papier); Ulrich Leberle (Leiter Rohstoffe der Confederation of European Paper Industries (CEPI); Mark Macaré (Senior Manager Öffentlichkeitsarbeit und Recycling Lejeune Association Management (Büro des FINAT-Sekretariats); und Vincent Decabooter (Senior Kundenbetreuer, Mitsubishi Polyester Film). Dieses Expertenteam analysierte eingehend die aktuellen Lösungsansätze und die mannigfachen Herausforderungen beim Aufbau von Erfassungssystemen und beim Ermitteln von geeigneten Mitarbeitern bei den Endabnehmer-Unternehmen, die mit solchen Systemen arbeiten können. Es bestehen bereits – von der Zuliefererseite initiierte – Projekte zur Abholung ihres verbrauchten Trägermaterials, die Schaffung einer übergreifenden Lösung bleibt aber auf der Wunschliste.

Das Erzielen von Qualitätsprodukten

Robyn Buma (globaler Beschaffungsleiter Bereich Papier bei Avery Dennison), untersuchte weltweit papier- und folien-basiertes Trägermaterial von Etiketten und grafischen Anwendungen in Bezug auf die Produktqualität. Die 3-jährige Studie mit verschiedensten Lieferanten aus allen geografischen Gebieten lieferte interessante Haupttrends. Trägermaterial aus Papier zeigte während der Studiendauer eine moderate Verbesserung bei den wichtigsten Qualitätsfragen – Knittern, Beschädigung, verschmutztes Material und Freisetzung von Silikonen. Folienmaterial jedoch zeigte hier eine signifikante Verbesserung in allen Punkten. »Aber«, so Buma, »es geht hier um Produktion, nicht wahr? Solche Dinge passieren eben« und beschwor Lieferanten, hier mit den höchsten Standards der Qualitätskontrolle und   systematischen Prozessen zur Problemlösung entgegenzuwirken. »Letzendlich erwarten unsere Kunden dasselbe auch von uns«.

Hans Oerley (Abteilung Entwicklung, Dr. Schenk Industriemesstechnik) zeigte hierfür eine Möglichkeit, qualitativ hochwertige Folienhaftetiketten herzustellen: der Einsatz von automatischen, optischen Inline-Inspektionssystemen. Mit einem ROI (Return-on-Investment) von nur zwei Jahren können die Systeme EasyInspect und EasyMeasure vor allem in Klebstoff- und Silikonschichten bereits frühzeitig Mängel erkennen. Sie gewährleisten ein qualitativ hochwertiges Ergebnis, nachgelagerte Abfälle werden bei Folienetikettenmaterialien und Silikonbeschichtungen stark reduziert.

Podiumsdiskussion Silikonbeschichtungen

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Release Liner. (Foto: UPM Responsibility Hub)

Das Thema Silikonbeschichtungen stand im Mittelpunkt eines dritten Expertengesprächs mit drei führenden Industrieunternehmen: Dr. Hans Lautenschlager (Senior Manager Senior, Release Coating Care and Coatings, Wacker Chemie); Alex Knott (AETS Senior Specialist, Dow Corning); und Sean Duffy (Global Business Manager Silikontrennbeschichtungen, Bluestar Silicones). Gemeinsam, mit 75 Jahren kollektiver Branchenerfahrung, konnten sie die wichtigsten aktuellen und künftigen Entwicklungen darstellen. Lautenschläger stellte die wichtigste Mission dar: »Die Entwicklung eines bestmöglichst Trägermaterials, das auf die Bedürfnisse unserer Kunden ausgerichtet ist«. Während der Diskussion fand ein reger Austausch zwischen dem Podium und statt – Beweis für die zentrale Bedeutung und Interesse an diesem Programmpunkt.

Moderator Corey Reardon stellte die entscheidende Frage: »Was sind die Alternativen zu Silikon?« »Die Entwicklung einer neuen Chemie würde immense Investitionen erfordern«, so Duffy; und Knott würdigte die »unglaublichen Eigenschaften« von Silikonen, die sich für die Industrie derart bewährt haben. Reardon stellte die Verwendung von Platin als Härtungsbeschleuniger aufgrund der aktuellen Kostensituation in Frage. Sowohl Knott und Duffy lobten die Leistung von Platin, und Lautenschlager räumte ein, dass die Branche noch keine brauchbare Alternative gefunden habe. Die einzige Lösung sei eine signifikante Reduzierung des verwendeten Platins.

Auf die Frage, wesentliche Innovationen des vergangenen Jahres herauszustellen, erklärte Duffy, dass »der Fokus zu stark auf die Kostenseite gerichtet war«. Knott fügte hinzu, dass »diese Industrie jetzt ›gereift‹ sei«. Duffy wies auf die Einführung von UV-Silikonen hin,

deren Schattenseite allerdings die hohen Kosten sei. »Mit Blick auf die Zukunft streben wir jetzt die Verwendung unterschiedlicher Silikone an – Emulsion und Lösemittel beispielsweise für Folien. Auch gibt es bereits eine Niedrigtemperatur-Silikonhärtung und aktivierbare Klebstoffe als weitere Option«.

Konkurrierende Technologien

Dan Münzer’s Überblick über die Etikettierungs-Technologien, die heute im Wettbewerb zu Haftmaterialien stehen zeigte viele Beispiele, wie Markeninhaber heute das Etikett als Kommunikationsmittel einsetzen und ihre Produkte dadurch hervorheben. Der Vizepräsident Marketing von Constantia Flexibles präsentierte anschauliche Beispiele wie die Coca-Cola- Kampagne und Heineken’s Mehrfachetiketten auf »Indio«-Bier – Beispiele für den Fortschritt bei der Variierbarkeit im Druck. In-Mould-Labelling; flexible Verpackungen und Direktdruck stehen im direkten Wettbewerb zum Selbstklebeetikett. Aber es gibt auch gute Nachrichten. So hat Budweiser aus Kosten- und Effizienzgründen von Papieretiketten auf Selbstklebeetiketten aus metallisierter Folie umgestellt. Und die Haftetikettenindustrie sorgt mit schadstofffreiem Haftmaterial zur Anwendung auf PET-Flaschen auch für Innovationen.

Alles in allem konnte das AWA Label Release Liner Industry Seminar in nur einem Tag die wichtigsten Themen bündeln, die Möglichkeiten und Herausforderungen dieser Branche aufzeigen, die – wie Corey Reardon unterstreicht – »einen solch großen Einfluss auf die Welt der Verpackung von heute hat«.

www.awa-bv.com

 

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