Zum Start der 32. Dresdner Verpackungstagung diskutierte dvi-Geschäftsführer Winfried Batzke mit drei Markenartiklern über aktuelle Herausforderungen bei der Verpackungsentwicklung.
Materialverfügbarkeit
Zum Thema der Verfügbarkeit von Materialien sprach Katja Binder (Abteilungsleiterin Verpackungsentwicklung der Alfred Ritter GmbH & Co. KG) von einer leichten Beruhigung, der aber nicht zu trauen sei. »Materialien und Rohstoffe bleiben wirklich eine Schwierigkeit«, so Binder, die auf weitreichende Folgen hinwies. Durch die Materialverfügbarkeit verändere sich alles. Sie beeinflusse auch die Entwicklung, den Zeitpunkt für Muster und für den Launch. Dazu sehe man sich mit explodierenden Kosten konfrontiert. Als Unternehmen müsse man agil und flexibel bleiben.
Zum Umgang mit einem beschränkten Materialangebot gehört nach Auskunft der Markenvertreter auch die Reduzierung von Komplexität, solange sie die Funktionalität nicht beeinflusse. Auch bei der Individualisierung ließen sich Hebel ansetzen. So berichtete Daniel Reichenbach (Head of Packaging Development der Molkerei Gropper GmbH & Co. KG) über den Aufbau von Universalplatine ohne Markenbezug beim Etikettendruck. »So konnten wir die Etiketten in großer Stückzahl produzieren auf Lager legen. Der Handel war da zum Glück sehr flexibel«, so Reichenbach.
Bedeutung von Nachhaltigkeit
Trotz der multiplen Krisen und Herausforderungen wird in den Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit nicht nach unten nachjustiert. So berichtete Daniel Reichenbach zwar von entsprechenden Überlegungen als in der Hochphase rPET pro Tonne rund EUR 1000 teurer war als virgin Material, aber »wir sind standhaft geblieben. Wir haben unsere Ziele nicht aufgegeben, höchsten mal kurzfristig geschoben«, so Reichenbach.
Auch Katja Binder schilderte, dass das Thema Nachhaltigkeit abgekoppelt sei und seine eigene Relevanz habe. Allerdings müsse man seine Arbeit in dem Bereich intensivieren, insbesondere durch die aufwändigere Materialbeschaffung. Ähnlich stellt sich die Situation laut Lorenz Dobiaschowski (Head Packaging Development Team der Develey Senf & Feinkost GmbH) bei seinem Unternehmen dar: »Wir haben keine Nachhaltigkeitsziele reduziert. Aber wir machen das Feld breiter und suchen neue Lösungen.«
Dobiaschowski sprach von der Notwendigkeit, Zweitlieferanten und alternative Materialien suchen und qualifizieren zu müssen. Da bleibe oft zu wenig Zeit für den eigentlichen Job, was auch auf Kosten des Themas Nachhaltigkeit ginge. Gleichzeitig spüre man den Druck des Handels, der seine Nachhaltigkeitsziele bis 2025 erreichen müsse und hinterherhinke. »Da muss man jetzt auf die Tube drücken«, so Dobiaschowski.
Design for Recycling
Neben dem der Bedeutung von Verpackung für die Geschäftsführung, Einschätzungen zum Einsatz von Marker-Technologien für die Sortierung im Recyclingprozess, der Bedeutung von alternativen Packstoffen und der Rolle des Konsumenten beim Recycling ging es in der Marken-Runde auch um Design for Recycling.
Unisono betonten Binder, Reichenbach und Dobiaschowski die Bedeutung des Themas und seine Komplexität gerade auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Anforderungen in den unterschiedlichen Märkten. Zwar kenne man oft die Theorie (Regularien), aber das sage wenig darüber aus, wie die Praxis aussehe – und zwar für jedes einzelne Glied in der Kette. Es gebe ein ehrliches Interesse, das Richtige zu tun. Aber es brauche in der Kette viel mehr Transparenz nach vorne und nach hinten. Es ist oft schwierig zu beurteilen, ob man wirklich das Optimum umgesetzt habe. »Wir können sagen, wir sind besser als gestern, aber geht es noch besser? Da fehlen oft die Rückmeldungen aus dem nachgelagerten Feld«, berichtete Katja Binder.
Regulatorische Eingriffe
Reichenbach sprach darüber hinaus das Thema der Regulierungen an. »Da wird perspektivisch reinregiert in unsere Geschäfte. Und zwar in einem Umfang, wie man das vorher nicht kannte. Das muss man erst einmal alles erfassen und rezipieren«, betonte Reichenbach.
Von einer Diskrepanz zwischen Gesetzgebung und Praxis berichteten die drei Vertreter in Bezug auf das Thema Sortierung. Hier gebe es eine große Kluft zwischen Forderungen der Regulierer und dem, was in der Praxis tatsächlich funktioniere und gemacht werden könne.
Von Winfried Batzke nach den Wünschen der Markenartikler an die Verpackungshersteller gefragt nannte Katja Binder Ehrlichkeit: »Nicht versprechen, um uns zu fangen und dann klappt es nicht. Weniger Lobbyismus und mehr Zusammenarbeit. Wir sind eine Branche, lasst uns zusammenarbeiten«. Lorenz Dobiaschowski nannte Transparenz und Zusammenarbeit: »Ich wünsche mir mehr Transparenz aus der Vorstufe und mehr Zusammenarbeit. Wir müssen noch mehr zusammenarbeiten. Die Zeiten, wo man das für sich im stillen Kämmerlein gemacht hat, sind vorbei«. Daniel Reichenbach forderte die Hersteller auf ihr Wissen nicht hinter Patenten zu verstecken: »Teilt euer Wissen und macht es verfügbar. Nur so kann es funktionieren.«
Recycling unter der Lupe: Faserverbunde, Aluminium, Kombidosen
Faserverbunde
Unter dem Titel »Faserverbunde – Clever und recycelbar!« berichtete Peter Hengesbach (Product End of Life Compliance Manager, Recyclability at Stora Enso Packaging Materials Division der Stora Enso Germany GmbH) von Sortiermöglichkeiten und Recyclingtechnologien. Außerdem stellte er aktuelle Recylingprojekten und Kooperationen seines Unternehmens vor.
Nach Auskunft von Hengesbach werde man sich in Zukunft nicht mehr nur auf die rund 75% Fasern konzentrieren, die beim Recyclingprozess der Faserverbunde gewonnen würden. Getrieben durch die Regulierer rückten vermehrt auch der 25 Prozentanteil der PolyAl-Fraktion (Aluminium und Kunststoffe PE sowie PP) in den Fokus. »Auch das Polyaluminium muss in Zukunft im industriellen Maßstab recycelt werden, um die Quoten zu erfüllen«.
Hengesbach nannte die Zahl von 450.000 tonnen Getränkekarton, die aktuell jährlich in Europa industriell recycelt würden. Das Ziel sei hier eine 90-prozentige Erfassung und eine Recyclingrate von 70% des gesamten Getränkekartonaufkommens in 2030. Das Volumina der stofflichen Verwertung der PolyAl-Fraktion betrage zurzeit rund 50.000 to jährlich. Ziel sei eine Verdreifachung bis 2025 und eine vollständige Abdeckung bis 2030.
Hengesbach sprach sich für eine klare Kennzeichnung von Verbunden aus: Im Moment erkenne ein Verbraucher noch nicht, ob er einen Verbund in der Hand habe. Das gefährde die richtige Entsorgung. »Eine Kennzeichnung ist wichtig. Wir müssen die Verbraucher mit ins Boot holen. In dem Bereich wird sich durch die neue Packaging and Packaging Waste Regulation einiges ändern.«
In seinem Fazit stellte der Vertreter von Stora Enso fest, dass sich gezeigt habe, dass die Bestandteile von Faser-Verbunden erfolgreich recycelt werden könnten. Kunststoffe, die nicht PE oder PP seien, stellten jedoch eine Herausforderung für aktuelle mechanische Recyclingverfahren dar. Neue Prozesse und Kapazitäten seien in ganz Europa erforderlich. Nicht zuletzt, weil die Nachfrage für Faserverbunde stetig wachse.
Aluminium
August Wanninger (Director Innovation & Product Development der Linhardt GmbH & Co.KG) bot in seinem Vortrag Antworten auf die Fragen, warum Recycling-Aluminium in der Verpackung sinnvoll ist und wie man welches Recycling-Aluminium verantwortungsvoll einsetzen könne.
Nach seiner Ansicht ist die teilweise Kritik an der Verwendung von Aluminium in Verpackungen seltsam. Denn bei vielen anderen Produkte zeige sich Aluminium als bevorzugter Werkstoff. Außerdem überzeuge das Material durch eine sehr hohe Barriere, was es beispielsweise für die Verwendung für Pharma, Food und Kosmetik auszeichne. Auch beim Thema Nachhaltigkeit sei Aluminium gut. Der »Startnachteil« einer sehr energieintensiven Erstgewinnung von Aluminium stehe die nahezu unendliche Rezyklierbarkeit entgegen, die mit nur 5% der Energiemenge auskomme.
Im Anschluss widmete sich Wanninger der Frage, ob der Einsatz von PCR-Aluminium sowie das Recycling von Verpackung zu Verpackung ehrlich, sinnvoll und verantwortungsvoll ist. Ehrlich sei es, da man auf End-of-life-Schrott von Unternehmen zurückgreife, der ebenfalls zu Fraktion der Post Consumer Rezyklat (PCR) gehöre. »Das sind Produkte, die von Unternehmen verwendet wurden und nicht mehr weiterverwendet werden können.«
Sinnvoll und verantwortungsbewusst sei der Einsatz von PCR-Aluminium aus diesen Quellen, da man hohe Reinheitsgrade von über 99% benötige. Wenn man Kabeldrähte und Lithoplatten, die über die geforderte Reinheit verfügten, direkt einschmelze, sei das auch unter dem Gesichtspunkt der Energieeffizienz die beste Lösung. Anderen Branchen wie beispielsweise Bau und Verkehr nehme man dabei nichts weg, da die Reinheitsanforderungen dort nicht so hoch seien. Hier könnte auch auf Aluminiumrezyklat aus Verpackungen zurückgegriffen werden, bei dem der Reinheitsgrad durch Lacke, Farben, Restinhalte oder Verschlüsse unter 95% liege.
Beim Blick auf die tatsächliche Ökobilanz von Aluminium plädierte Wanninger für »Fakten statt Fabeln. Wenn ich nur auf eine hohe prozentuale Einsparung aus bin, dann nehme ich Aluminium aus China. Aber welche absolute Einsparung habe ich dann tatsächlich? Denn in China wurde eventuell Energie aus Kohle zur Virgin-Herstellung verwendet. Deshalb müssen wir absolute Zahlen vergleichen, keine relativen. Bei Linhardt verwenden wir nur Aluminium aus Europa und hier nur aus Hütten, die beispielsweise mit Geothermie zur Energiegewinnung arbeiten.«
Wanningers Fazit: »Die Verwendung von Recycling-Aluminium in der Verpackung ist sinnvoll, ehrlich und verantwortungsbewusst. Die Verwendung von alternativen Rezyklatquellen führt dabei zur größtmöglichen Einsparung CO2 bei gleichzeitig transparenten und kurzen Lieferwegen.«
Kombidosen
Peter Görlitz (Sustainability Manager Europe der Sonoco Consumer Products Europe GmbH) stellte zu Anfang seines Vortrags die Geschichte der Kombidose vor, die ihren Ursprung als Weißblechdose hatte. Heute bestehe sie als Wickeldose meist von außen aus Papier, sei von innen mit einer Barriere ausgestattet und werde hauptsächlich für Lebensmittel eingesetzt. Über Hochbarrieren biete die Kombidose heute Wasserdampf- und Gasdichtigkeit sowie eine Haltbarkeit von mehr als 18 Monaten auch für hygroskopische und anfällige Produkte.
Laut Görlitz habe die Kombidose teilweise noch immer einen schlechten Ruf. Dieser sei darauf zurückzuführen, dass bis in die 90er Jahre Metallboden Verwendung gefunden hätten. »Deshalb werden Kombidosen in einigen Sortieranlagen noch immer zu Unrecht aussortiert. Hier müssen wir aufklären – und das leider in jeder dieser Sortieranlagen einzeln.«
Im Fazit zeige die Kombidose heute nach Ansicht von Peter Görlitz eine sehr gute Recyclingfähigkeit. Sie sei in spezialisierten aber auch in Standardpapiermühlen zerfaserbar und liefere in nur 5–10 Minuten eine hohe Faserausbeute. Die Rejekte seien sauber trennbar. So könnten beispielsweise Alu-Lack-Partikel durch High Density Cleaner entfernt werden. Der recycelte Anteil betrage im Papier circa 80% und in der Gesamtverpackung rund 60%. Die Ökobilanz sei deutlich besser als bei anderen starren Verpackungen und vergleichbar mit flexiblen Verpackungen. Ein Vorteil der Kombidose: Sie kann in den meisten Fällen über den Altpapierstrom gesammelt und entsorgt werden.
Auf Nachfrage aus dem Auditorium, ob die bei der Faserrückgewinnung zurückbleibenden Rejekte ebenfalls stofflich wiederverwertet werden könnten, zeigte sich Görlitz zuversichtlich. Sonoco, das bis auf Glas bei allen Substraten vertreten sei und nicht nur Verpackungen herstelle, sondern auch sammle und sortiere sowie Papier herstelle, beteilige sich an Forschungsprojekten. Es zeige sich, dass selbst feinste Rejekte beispielsweise aus Aluminium aussortierbar seien. »Wenn die Barriere richtig konzipiert ist, kann man sie sauber trennen.«
Technologie und Software für Sortierung und Durchblick beim Recycling
Technologieoffene und kreislauffähige Sortiertechnologie
Jochen Moesslein (Managing Director, Polysecure GmbH) stellte mit Sort4Circle die »erste einstufige, technologieoffene und kreislauffähige Sortiertechnologie für Verpackungen« vor.
Er betonte die hohe Bedeutung der Sortierung für die Kreislaufwirtschaft: »Aktuell liegt die europäische Kunststoffrecyclingquote bei nur 16%. 38–40% der gesammelten Verpackungen gehen nach der Sortierung zum Recycler. Der Rest geht in die Verbrennung. Um besser zu werden, müssen wir die Sortierung verbessern«.
Der effizienteste Sortierprozess ist nach Moessleins Ansicht einer, »wo man die komplette Verpackung schon richtig sortieren kann und schon eine 100-prozentige sortenreine Sortierung erhält. Und zwar bereits beim Sortierer und nicht erst in nachfolgenden Schritten.«
Sort4Circle vereine dazu laut Moesslein die drei Innovationen Single Step Sorting, Combined Detection und Tracers. Die Technologie sei für Recyclingunternehmen »future-proof«, da alle aktuellen und zukünftigen Detektionstechnologien eingesetzt werden könnten.
Beim »Single Step Sorting« würden alle Gegenstände automatisch vereinzelt, detektiert und dann gemäß ihrer definierten Fraktion sortiert. Die »Combined Detection« sorge dabei für die Identifikation der Gegenstände über Tracer, NIR, Farbe, Image und optional Wasserzeichen. Die verschiedenen Ergebnisse werden nach Auskunft von Moesslein fusioniert, wobei man widersprüchliche Infos ausfiltere. Ein Ausblasen von Bestandteilen finde nicht statt. Es sei nicht zielführend, x-verschiedene Kategorien zu verwenden, wenn man immer nur eine einzige ausblasen könne. Ein weiteres Argument für die Combined Detection laut Moesslein: »Bisherige Sortiertechnik lassen sich kaum weiter beschleunigen, weil sie zu viele Prozesse und Stufen haben. Mit einer einstufigen Technik können wir das Tempo erhöhen.« Aktuell schaffe man bis zu 5 m pro Sekunde.
Tracers sind Ansicht von Jochen Moesslein das verlässlichste Sortiermerkmal. Sie seien nicht an sich nötig, aber sehr flexibel einsetzbar. Außerdem ermöglichten sie die Definition von Fraktionen bis hin zu speziellen Verpackungen individueller Marken, geschlossene Kreisläufe und sehr hohe Detektionsrate und Reinheitsgrad von über 99%. Ein weiterer Vorteil sei nicht zuletzt der geringe Kosteneinsatz beim Einsatz von Tracern auf Verpackungen. Ideal seien Tracer als Additiv im Kunststoff, regte Moesslein an.
Bei Polysecure geht man davon aus, dass man für die Sort4Circle-Technologie Lebensmittelkontaktzulassung bekommt.
Software für den Durchblick beim Recycling in Europa
Thomas Hermanns (Projektingenieur des Institut cyclos-HTP GmbH) stellte den Teilnehmern der Tagung ein Profitool zur IT-gestützten Ermittlung von Recyclingfähigkeit vor, das auch beim Design kreislaufgerechter Verpackungen helfen kann. CHIRA, das 2022 den Deutschen Verpackungspreis gewann (Meldung vom 28. September 2022), ist nach Darstellung von Hermanns multifunktional, offen für alle Verpackungstypen sowie Materialarten und verfügt über eine intelligente und anwenderunterstützende Menüstruktur.
Bei der Bewertung der Recyclingfähigkeit setzt man laut Hermanns auf den CHI-Standard, der konform zum Mindeststandard ist und auf objektiven, nicht interessengeleitenden Sachverständigenbewertungen beruhe. Die Software decke den gesamten Bereich der EU ab und biete darüber hinaus nationalstaatliche Differenzierungsmöglichkeiten.
In Bezug auf die Multifunktionalität sprach Hermanns von einer individuellen Bewertung von Verpackungen, einer Datenbank zur Ermittlung und Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen, verschiedensten Exportfunktionen und einem Zertifikatsarchiv.
Mit der Version 1.1 hat cyclos-HTP jüngst eine Aktualisierung von CHIRA vorgestellt. Enthalten sind eine Anpassung an den Mindeststandard 2022, eine Werkstoffauswahl für die Kunststofftypen PE, PP, PET, PS und entsprechende Rezyklate sowie eine automatische Berechnung des Rezyklatanteils und Features wie die Berechnung der aggregierten Recyclingfähigkeit bei Kombinationsverpackungen und differenzierte Ergebnisse für Flüssigkartons mit und ohne PolyAl-Verwertung.
Für die Zukunft stehen laut Hermanns eine Verpackungskomponentenbibliothek, ein Abgleich mit Design-for-Recycling-Guidelines sowie eine CO2-Footprint-Kalkulation auf dem Programm.
EU geht gegen Greenwashing vor
Malte Biss (Gründer und Geschäftsführer der Flustix GmbH) stellte den Teilnehmern der Tagung die Pläne der EU für eine verschärfte Verbraucherschutzverordnung vor. In deren Rahmen kommen alle Nachhaltigkeitsaussagen auf den Prüfstand. Biss erläuterte den Inhalt der Pläne, was erlaubt und was verboten sein wird, wer betroffen ist und wie man zukünftig sicherer On-Pack kommunizieren kann.
Ausgangspunkt der Bestrebung der Regulierer ist der Umstand, dass nach Angaben von Biss 2021 42% aller nachhaltigkeitsbezogenen Werbeaussagen vage, irreführend oder falsch waren. Im Jahr 2022 waren es bereits 53,3%.
Die neue Verordnung zielt entsprechend auf die Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Information. Vermieden werden sollen dadurch jedoch nicht nur irreführende Umweltaussagen, das sogenannte Greenwashing und die Verwendung unzulässiger und nicht transparenter Nachhaltigkeitssiegel und Informationsinstrumente. Die Verordnung sagt auch Praktiken des frühzeitigen beziehungsweise vorzeitigen Ausfallens von Waren, beispielsweise durch eingebaute Sollbruchstellen, den Kampf an.
Biss stellte ausführlich dar, welche Aussagen zukünftig unter welchen Voraussetzungen noch erlaubt sind und welche verboten. So dürfen künftig nur noch Umweltaussagen getroffen werden, wenn sie klare, objektive und überprüfbare Verpflichtungen und Ziele beinhalten sowie ein unabhängiges Überwachungssystem aufweisen. Nachhaltigkeitssiegel dürfen nur angebracht werden, wenn sie auf einem Zertifizierungssystem beruhen oder von einer staatlichen Stelle vorgegeben werden. Auch dürfen Produkte nicht mehr als »mit Recyclingmaterial hergestellt« ausgewiesen werden, wenn tatsächlich nur ein Teil davon aus PCR besteht.
Biss machte die neue Verordnung anhand konkreter Beispiele unterschiedlicher Umweltaussagen deutlich und ging in der Folge auf die Definition von Nachhaltigkeitssiegeln und Zertifizierungssystemen ein.
Flustix ist nach Aussage von Biss die einzige unabhängige, international anerkannte Zertifizierung für einen nachhaltigen Umgang mit dem Werkstoff Plastik. Gemeinsam mit dem Zertifizierungspartner DIN Certco (TÜV Rheinland) und dem Prüfpartner Wessling bietet Flustix vier Plastikfrei-Siegel und zwei Recycling- beziehungsweise Kreislaufsiegel.
Ideenwerkstatt Substitution
Der Abschluss des ersten Tages gehörte vier spannenden, dynamischen Unternehmen. Papacks und die drei Start-ups Plant Pack, SuverSeven und mujō forderten von der versammelten Industrie mehr Technologie- und Materialoffenheit sowie Innovationsfreude ein und stellten ihre eigenen, faserbasierte Materialalternativen vor.
Faserguss aus vielen Quellen
Nach Meinung von Tahsin Dag (Founder & CEO der Papacks Sales GmbH) könne Faserguss eine Antwort für Substitution von Kunststoff sein und schnell Lösungen zur CO2-Einsparung bieten. Mit seinem Unternehmen, das bereits an fünf Standorten in Europa produziert, greift er dabei auf eine ganze Reihe nachwachsender Rohstoffe zurück – von Industriehanf bis hin zu Gräsern von wieder-vermoorten Flächen, sogenannte Paludikulturen. »Warum sollen wir einen Baum 40 Jahre lang wachsen lassen, wo es doch so viele andere nachwachsende Quellen gibt. Ich bin immer für eine Mischkultur, also keine Beschränkung auf eine einzige Quelle. Und es gibt viele bessere Quellen als Holz«, so Dag.
Sein Unternehmen Papacks arbeitet nur mit Frischfaser und stellt daraus eine hohe Vielzahl von Verpackungen für unterschiedliche Branchen wie beispielsweise Food, Transport, Kosmetik, Beauty und Pharma her. Zu den Fasergussverpackungen des Start-ups gehören auch Getränkeflaschen, wie Dag anhand mitgebrachter Beispiele zeigt.
Maisgries als Styroporersatz
Ronald Goldbach (Managing Director der Plant Pack GmbH) stellte danach seine Verpackungen vor, die Styropor substituieren und aus Maisgries hergestellt werden. Der Gries werde aus Resten der Lebensmittelproduktion hergestellt und hätte bislang nur als Tierfutter Verwendung gefunden. Die Verpackungen von Plant Pack sind nach Aussage von Goldbach sowohl industriell als auch Heim-und-Garten-kompostierbar und bieten die nötige Stoßfestigkeit und Wärmeisolation. Auch individuelle Formteile seien umsetzbar.
Zu den Anwendungsgebieten gehören nach Aussage von Goldbach Transportverpackung und Produktschutz für Elektrogeräte oder Möbel, Inlays für Produktverpackungen aber auch Versand- oder Lieferverpackung für temperatursensible Güter wie Lebensmittel, Tiernahrung oder Pharma-Produkte.
Zellulosefolien für Lebensmittelverpackungen
Hannes Füting (CMO der SuperSeven GmbH) stellte den Teilnehmern Zero Waste-Folienverpackungen vor, die plastikfrei und zu 100% kompostierbar sind. Repaq ist nach Fütings Aussage Europas erste eingetragene Marke für kompostierbare Verpackungen. »Sie entstehen aus einem modularen System aus zertifiziert kompostierbaren Folien, Papieren, Adhesiven und Druckfarben, sind frei von Schadstoffen und zersetzen sich in natürlicher Umgebung in 42–180 Tagen zu H2O, CO2 und Biomasse.«
Nach Ansicht des CMO müssten Verpackungen drei zentralen Anforderungen gerecht werden: Produkten, Maschinen und dem Marketing. In Bezug auf die Maschinenfähigkeit erreiche Repaq ohne Umrüstungsbedarf einen Wert von bis zu 400 Takten pro Minute. Die Folien ließen sich bedrucken und perforieren. Auch Transparenz stelle kein Problem dar. Genauso wenig, wie Barrierefunktionen oder die Verwendung für Modified Atmosphere Packaging (MAP). Insgesamt erreiche Repaq Qualitäten, die vergleichbar zu Kunststofffolien seien.
Nach Fütings Aussage entwickele und verkaufe man Produkte für Märkte weltweit. Daher achte man extrem auf die natürliche Kompostierbarkeit. »Nicht überall gibt es industrielle Kompostierungsanlagen.« Zur Stabilität der kompostierbaren Folie sprach Füting von einem sechsmonatigen Verarbeitbarkeitszeitraum und einem 90tätigen Shelf-Life wie vom Markt gefordert.
Braunalgenbasierte Verpackungsfolien
Juni Neyenhuys und Annekathrin Grüneberg (Founder der mujō GbR) stellten ihre im letzten Jahr gegründetes Berliner Start-up und seine Alginatmaterialien vor. Nach Aussage der Gründerinnen designe man »nur mit den Grundbausteinen, die die Natur ohnehin schon zur Verfügung stellt«. Die Braunalge biete etliche Vorteile. So benötige sie beispielsweise weder Ackerfläche noch Süßwasser und weise ein superschnelles Wachstum von bis zu 600 mm pro Tag. Darüber hinaus binde das chemisch unmodifizierte und vollständig heimkompostierbare Material Kohlenstoffdioxid und Nährstoffe.
Neyenhuys und Grüneberg verglichen in der Folge ihre Folie aus Braunalgenpolymeren mit PLA- sowie PP/PE-Folien mit Papierbeschichtung – und sahen sich mit ihrem Produkt in Bezug auf Ökokriterien deutlich überlegen. Auch funktional bringe man vieles mit, so die Gründerinnen, die unter anderem auf Transparenz wie PE/PP-Folien verwiesen. Alginat habe Stärken beispielsweise im Bereich Kosmetik- und Lebensmittel oder als Papierbeschichtung und verfüge über sehr gute Fett- und Sauerstoffbarriere. Lediglich an der Wasserbarriere müsse man noch arbeiten.
Nach eigenem Anspruch will mujō nicht nur nachhaltige und kompostierbare Packstoffe aus nachwachsenden Quellen anbieten, sondern ein neues Verpackungserlebnis designen. Wichtig sei ihnen auch eine Win-Win Beziehungen in einem zirkulären Ökosystem entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Ihren Markteintritt planen die Gründerinnen für 2024. Perspektivisch solle das braunalgenbasierte Portfolio mit Netzen, Papierbeschichtungen und Garnen erweitert werden.
Diskussion: Wie Erfolg versprechend sind alternative Verpackungsmaterialien?
Nach den vier Kurzvorträgen diskutierten die Gründerinnen und Gründer mit den Tagungsteilnehmern zentrale Fragen und die größten Hürden für den Markteintritt innovativer Packstoffe.
Dazu gehöre die Preissensibilität. Jeder wolle das Thema Nachhaltigkeit bespielen, aber mehr als 3–6% Mehrkosten sei kaum einer bereit zu bezahlen. Dabei müsse man die Gesamtkosten im Auge haben, so der Aufruf der Gründer. Kunststoff sei zwar erst einmal scheinbar günstiger. Wenn man jedoch die gesellschaftlichen Folgekosten mit einrechne, ergebe sich ein gänzlich anderes Bild.
Auch das Thema Skalierbarkeit beziehungsweise die Bereitstellung ausreichender Mengen stellt für Start-ups im Bereich alternativer Packstoffe eine große Herausforderung dar.
Speziell beim Thema Bioplastik gebe es zudem eine große Verunsicherung im Markt und in der Gesetzgebung. Hier werde zu viel auf Metaebene betrachtet und reguliert. Man müsse die Sache jedoch sinnvollerweise runterbrechen auf die einzelnen Anwendungen.
Auch bei den Abfallströmen zeigen sich nach Darstellung der Start-ups Schwierigkeiten. Zum einen gebe es ein Henne-Ei-Problem. Auf der einen Seite würden keine gesonderten Ströme geschaffen, solange es noch nicht ausreichend entsprechenden Abfall gebe. Auf der anderen Seite würde das Material nicht flächendeckend eingesetzt, solange es keine entsprechenden Abfallströme gebe.
Zwei weitere Apelle gab es in Richtung der Regulierer bei den Themen Beschichtungen und Kompostierung. Regularien für Beschichtungen müssten deutlich realistischer gestaltet werden. Und Kompostierung solle als Teil von Recycling angesehen werden. Hier habe Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern Nachholbedarf.
Künstliche Intelligenz zur Kreislaufoptimierung
Prof. Dr. Andreas Maier (Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS) stellte in seinem Vortrag das Forschungsprojekt K3I-Cycling vor, bei dem auch das Deutsche Verpackungsinstitut e.V. Partner ist. In Zentrum des Projekts steht die Optimierung der Kreislaufführung von Kunststoffverpackungen durch Künstliche Intelligenz.
K3I-Cycling soll dazu beitragen, die fehlende Transparenz von Sortierfähigkeit, Mengeninformation und Ökobilanz zu beheben. Es soll Verknüpfungen über Unternehmensgrenzen ermöglichen, die bislang schwierig sind und lokale Teilaspekte optimieren. Dabei sollen nur Gradienteninformationen übertragen werden, so dass keine Geschäftsgeheimnisse offenbart werden müssen.
Zu den konkreten Zielen gehört die Digitalisierung der Wertschöpfungskette »Kunststoffverpackungen« mittels eines digitalen Twins. Die Abbildung der Kette als ein neuronales Netz über einen Artifical Neural Twin (ANT) und Werkzeuge zur gesamtheitlichen Optimierung und Analyse.
Als konkretes Ergebnis wiederum soll eine LVP-Sortieranlage 4.0 enstehen. Sie arbeitet mit integrierter Sensorik und Deep-Learning zur Stoffstromanalyse und Steuerung, bietet eine Standardisierte Schnittstelle Ready4AI, führt zu einer Erhöhung der werkstofflichen Verwertung um bis zu 8000 to jährlich und schafft Potential zur Verringerung der Treibhausgasemission um bis zu 20.000 to CO2-Äquivalent pro Jahr.
Holistisches Mehrwegsystem
Mit Laura-Marie Schulte (Co-Gründerin der Kappelhoff & Schulte MealGood GbR) gab die Dresdner Verpackungstagung einem weiteren Start-up eine Bühne. MealGood entwickelt Mehrwegverpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen mit einem Cradle-to-Cradle-Ansatz. »Wir wollen ein komplett zirkuläres Produkt – auch in Bezug auf den Rohstoff. Deshalb fällt Kompostierung für uns aus«, so Schulte.
Nach Aussage von Schulte wolle man so bewusst und dezidiert von Anfang an das Ende beziehungsweise den ganzen Lebenszyklus mitbedenken. »Nicht nur in Bezug auf das Produkt, sondern auch in Bezug auf den Rohstoff. Deshalb werden die Produkte nach Nutzung wieder eingesammelt. Sie sind 150–200 Mal nutzbar und gehen am Ende Ihrer Nutzungsdauer zu dann einem Recycler, der sie produktrein recycelt. Wir haben uns bewusst gegen das Duale System entschieden und gehen eine extra Meile, um ein Rezyklat zu erhalten, das tatsächlich wieder eingesetzt werden kann und wird.«
Einen besonderen Ansatz verfolgt MealGood auch in Bezug auf die Zielgruppe, die bewusst konkret und eng umrissen gewählt wurde. Die Mehrwegspeisecontainer sind für die Groß- und Systemgastronomie optimiert und werden speziell auf das dort vorherrschende System der kurzen und überschaubaren Wege sowie der eingesetzten Spül- und Reinigungsmethoden abgestimmt.
»Unsere Zielgruppe ist ein kulinarisch eher konservatives Pflaster«, so Schulte. »Oft gibt es bei den Speisen drei Komponenten wie beispielsweise Klöße, Rotkraut und Fleisch. Die müssen getrennt werden und getrennt bleiben, damit nicht alles in einem Brei ankommt.« Die Kosten für die Mehrwegverpackungen lägen zwar anfangs höher, aber Umlaufkosten seien für die Zielgruppe viel entscheidender als die Produktkosten. »Das ist keine Cent-Ware. Wir bieten eine Innovation und echte Nachhaltigkeit. Ein echtes holistisches System Cradle-to-Cradle«, zeigte sich Schulte überzeugt.
Kompostierung und Recycling verbinden
Frank Kolvenbach (Sales Director Papstar GmbH ergriff bei der Dresdner Verpackungstagung die Chance, als ein Referent leider kurzfristig ausfiel. Moderator und dvi-Geschäftsführer Winfried Batzke hatte am Vortag angekündigt, dass man den freien Slot einem spannenden Unternehmen unter den anwesenden Teilnehmern zur Verfügung stelle.
Mit Papstar gelang das. Die Firma bietet Verpackungen und Kompostiermaschinen an, und ist in drei Wertstoffkreisläufen aktiv: Zero Waste, Maisbecher-Recycling und Pappbecher-Recycling. In seinem Vortrag konzentrierte sich Kolvenbach auf Zero Waste und die Möglichkeit, Recycling und Kompostierung von Geschirr- und Serviceverpackungen aus Großveranstaltungen, Krankenhäusern, Kantinen und der Fast Food Gastronomie zu verbinden. Das Besondere nach Kolvenbach: »Die Verpackung inklusive Essensreste lässt ich ohne vorherige Reinigung kompostieren«.
Ein bislang übliches Problem dabei sei die zu geringe Laufzeit der industriellen Kompostierung. Die dort eingesetzten Bakterien für den Kompostierprozess zu lange, um sich zu bilden und hätten dann nicht genug Zeit für ihre Arbeit. Die Lösung liege in speziellen Bakterien, die das Fasermaterial auch mit Speiseresten innerhalb des geforderten Zeitraums verarbeiten könnten. Die übriggebliebenen Fasern könnten zurückgewonnen und erneut zur Produktion von Industrieverpackungen aus Pappe verwendet werden. Voraussetzung sei allerdings, dass die Fehlwurfquote nicht zu hoch sei.
Da bei der Kompostierung durch die Bakterien CO2 freigesetzt werde, wolle man einen Schritt weitergehen. »Auch, wenn nur maximal das freigesetzt wird, was das Material vorher der Atmosphäre entzogen hatte«, so Kolvenbach. Deshalb arbeite man an der Herstellung von »Terra Preta do Indio«, hergestellt aus der Pyrolyse von Einmalgeschirr aus 100% nachwachsenden Rohstoffen und Essensresten. So bleibe das CO2 gebunden und trage als wertvoller Kohlenstoff wesentlich zur besseren Humusbildung im Boden bei.
Die wichtige Rolle der Verpackungsindustrie für den Klimaschutz
Matthias Giebel (Partner bei Berndt+Partner Consultants GmbH) rückte in seinem sehr informativen Vortrag die wichtige Rolle der Verpackungsindustrie für den Klimaschutz in den Fokus und zeigt auf, warum Markenartikler die Verpackungsindustrie benötigen, um ihre Klimaziele zu erreichen.
Selbst wenn der CO2-Beitrag der Verpackung am Gesamtprodukt absolut gesehen niedrig sei, müsse sich jede Branche der Frage stellen, was sie zum Klimaschutz beitragen könne. Die Verpackung spiele eine wichtige Rolle, weil Markenartikler ihre ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele ohne den Beitrag der Verpackung nicht schaffen könnten. »Der Anteil des Packaging Carbon Footprint am Corporate Carbon Footprint ist relevant und muss auch gesenkt werden«, so der Consultant, der auch konkrete Beispiele und Prozentzahlen zeigte.
Giebel zeigt auf, wie die Regulierung auf allen Ebenen als Treiber des Klimaschutzes auftritt. So führe die Erweiterung der Berichtspflichten zukünftig zur Pflicht, im Rahmen der Unternehmensberichterstattung auch über ihre Klimaziele und ihren Klimafußabdruck zu berichten.
Zu beachten ist nach Giebel aber auch eine andere Seite. Nicht nur die Frage, was die Produkte mit dem Klima machen, sei für Unternehmen entscheidend, sondern auch die Frage, was das Klima mit der Produktion mache. Klimaveränderungen und ihre Gefahren von Hitze und Dürre bis zu Unwettern und Flutereignissen müssten in Betracht gezogen werden. Die Frage sei, ob man selbst resilient genug ist und ob die Arbeit wichtiger Zulieferer durch Klimaereignisse gefährdet werde.
Ein weiteres spannendes Thema eröffnete Giebel mit der Erkenntnis, dass die Markenartikel-Industrie CO2 inzwischen als neue Zusatz-Währung definiere. »Die Markenartikler haben erkannt, dass Klimathemen gut zu kommunizieren sind und ein gutes Differenzierungsmerkmal darstellen. Führende Markenartikler steigern ihre Investitionsausgaben für Klimaschutz-Maßnahmen und führen einen internen CO2-Preis ein. In Zukunft wird der CO2-Fußabdruck zur Verpackung gehören wie der Preis.«
Als Problem nannte Giebel in diesem Zusammenhang, dass die Methodik für den Produkt-Carbon-Footprint noch nicht ganz sauber sei. Deshalb wollen Markenartikler nach Giebels Auskunft Standards für Carbon Labelling entwickeln. »Man hat die Ernsthaftigkeit des Themas für die Kommunikation erkannt. Beim Konsumenten kommt das Thema auf jeden Fall gut an.«
Zum Abschluss zeigte Giebel Wege und Möglichkeiten, um den Klimafußabdruck zu senken. Zu den behandelten Faktoren gehörten interne KPIs, mehr recycelte Verpackungen, Low Carbon Energy für die Kunststoffproduktion, Refill und der Einsatz von Rezyklat. Von wachsender Bedeutung sei auch das Carbon Disclosure Project. »Es schafft öffentliche Transparenz zu Klima-Verpackungen. Die Zahl der Unternehmen, die sich dazu verpflichtet haben, steigt rapide an. Die Verpackungsunternehmen sind zwar nicht die originären Teilnehmer – aber ihre Kunden sind es. Und die fordern es dann ein«, berichtete Giebel.
Auf die Frage, ob sich die Verpackungs-Value-Chain ihrer wichtigen Rolle bewusst sei, konstatierte Giebel: »Noch nicht genug! Nur 12%der Verarbeiter haben eine klare Nachhaltigkeitsstrategie formuliert. Dabei ist eine Verpackungswende für das Klima dringend nötig. Um den eigenen CO2-Fußabdruck zu kennen, braucht man eine Klimastrategie. Es muss nach Science Based Targets gehen, sonst macht jeder was er so denkt. Wir müssen uns alle noch mehr anstrengen. Low Carbon Packaging wird das neue Schlagwort werden.«
Best Practice in der Verpackungsbranche
Dr. Robert Baumhof (Sustainability Expert, Linhardt GmbH & Co.KG) zeigt in seinem mit vielen Einblicken gespickten Vortrag, wie man in seinem Unternehmen daran arbeite, Vorreiter und Treiber für ganzheitliches Nachhaltigkeitsmanagement innerhalb der Verpackungsbranche zu sein.
Baumhof sprach über den Weg vom Wunsch zu Strategie und Maßnahmen, die Etablierung eines Maßnahmen-Controllings und gab Ausblicke auf die European Sustainability Reporting Standards. Zentrale Elemente des Weges sind nach seiner Ansicht die Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive; CSRD) nach einem einheitlichen Standard (ESRS). Ab 2024 würde CSRD sukzessive verpflichtend – mit dem Ergebnis, dass Unternehmen transparent und vergleichbar würden und Stillstand gleichbedeutend mit Rückschritt werde.
Baumhof zeigte detailliert, wie der Weg zum Ziel aussehen kann und wie Linhardt sich den Anforderungen der SCRD und seiner eigenen Vision widmet. So werden in der Planung wesentliche Themen mit Unternehmens- und Nachhaltigkeitsrelevanz ebenso ermittelt, wie der Status Quo für sämtliche Themen und Definitionen von Kenngrößen. Nach der Priorisierung der Themen erfolge die Definition von Zielen und Maßnahmen.
Die Umsetzung starte mit der Einleitung beziehungsweise Weiterführung von Maßnahmen. Es folge die Kontrolle der Maßnahmeneffektivität und gegebenenfalls eine Korrektur der Maßnahmen. Interne und externe Kommunikation sowie Berichterstattung und die Reevaluierung wesentlicher Themen bildeten Abschlussbausteine der Umsetzung.
In der Folge nahm Baumhof ausführlich zu wichtigen allgemeinen Faktoren Stellung, die bei Planung und Umsetzung wichtig seien: »Das Nachhaltigkeitsmanagement muss ernst genommen werden. Es braucht Unterstützung und Eigeninitiative von Fachexperten aus Human Resources, Energy- & Utility-Management, Governance und so weiter. Es braucht das Commitment der Unternehmensführung und des Managements. Es muss klar sein, dass das alles Geld kostet. Aber klar ist eben auch, dass es mittel- und langfristig sowohl direkt als auch indirekt noch viel mehr kosten wird, wenn man es nicht richtig und frühzeitig genug angeht«.
Sein Abschlussappell an alle: Machen auch Sie sich auf den Weg!
Herausforderungen gemeinsam angehen
Melissa Ott (Program Director der Futury GmbH) stellte unter der Überschrift »Together for Sustainable Packaging« ihre Initiative »The Mission« vor. Das Projekt widmet sich der Kooperation von Industrie mit Startups und Experten für holistische und nachhaltige Lösungen. »The Mission« konzentriert sich auf die Branchen Bau, Abfall und Lebensmittel. Der eigene Anspruch: Wir entdecken, gestalten und entwickeln innovative Lösungen entlang der Wertschöpfungskette.
Nach Meinung von Ott gibt es jede Menge Innovationen und junge Innovatoren. Aber die Frage sei, wie macht man sie im Rahmen »einer wertschöpfungsübergreifenden Transformation« geschäftsfähig machen, zur Marktfähigkeit und zu einem Geschäftsmodell führen könne. Dazu gehörten sowohl grundsätzliche Fragen, wie man ein nachhaltiges Unternehmen aufbauen könne, wie man die notwendige Skalierung hinbekomme und wie man sich Aufmerksamkeit für sein Thema sichern könne.
Bei »The Mission« schaut man laut Ott mit einem sehr ehrlichen Blick auf die Herausforderungen. Man analysiere, welche Lösungen es gebe und welche fehlten. Dazu bringe man Unternehmen zusammen und starte immer aus der Industrie- und Marktperspektive. Zu den Gründungsmitgliedern des Projekts gehörten 2019 die Deutsche Bank, Bain & Company, das dvi-Mitglied Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland, pre zero) sowie die Handelsblatt Gruppe. Inzwischen sind weitere dazu gestoßen, wie beispielsweise auch die dvi-Mitglieder Procter & Gamble und adapa (ehemals Schur Flexibles).
Ott stellte in der Folge detailliert die Funktionsweise und die zeitlichen Abläufe von »The Mission« vor. Dabei übernehmen einzelne Partner mit ihrer jeweiligen Expertise spezielle Aufgaben. Man starte mit klaren Zielsetzungen für eine dreimonatige Accelerator-Phase zur gemeinsamen Entwicklung von Lösungen und Pilotprojekten mit Unternehmenspartnern. Unter der Überschrift »Product & Market« gehe es danach um die Frage, wie man ein Produkt marktfähig entwickeln könne. Es folge das Thema Funding, also die Frage, wie ein Start-up wachsen und wie es sich Investments sichern könne. Über die juristischen Aspekte einer Gründung und die Frage nach der Nachhaltigkeit von Geschäftsmodell und Wachstumszielen gehe es schließlich in das Prototyping.
Für 2023 will sich »The Mission« auf den Themenbereich Plastik, Verpackungen, Umwelt konzentrieren. (Bildquelle: dvi © Andre Wagenzik)