Der internationale Etikettenverband FINAT hatte sein European Label Forum (ELF) Anfang Juni in Berlin ausgerichtet, da in Deutschland mehr als 400 Etikettendruckereien ansässig sind. Dazu zählt auch Hagmaier Etiketten, deren Geschäftsführer Thomas Hagmaier die beiden letzten Jahre als Präsident der FINAT tätig war. Auf dem ELF hat er dieses Amt an Chris Ellison von OPM Labels, Großbritannien, übergeben.
In seinem dritten Jahr ersetzt das europäische Etikettenforum den Jahreskongress der FINAT, um den sich ändernden Anforderungen der Etiketten- und Verpackungsindustrie gerecht zu werden. »Mit diesem neuen Forum«, sagt Jules Lejeune, FINAT-Geschäftsführer, »möchten wir die Führungskräfte und Meinungsbildner ermutigen, Themen anzusprechen, die für die längerfristige Zukunft unserer Branche von Bedeutung sind«.
»Der andere« Michael Jackson und Industrie 4.0
Das allumfassende Schwerpunktthema des Forums war Veränderung, genauer die vierte industrielle Revolution und ihre Relevanz für die Etikettenindustrie. Die Grundsatzrede zur Eröffnung des Forums wurde von Michael Jackson, ein Experte und Berater für Veränderungen sowie renommierter internationaler Referent, gehalten. Er bezeichnete die Informatik, Kommunikation, Zusammenarbeit und Konvergenz als die wichtigsten Herausforderungen für Veränderungen und definierte sie nacheinander. »Je mehr Dinge sich ändern, desto schneller ändern sie sich. Wenn Sie Ihre Branche nicht von Grund auf ändern, werden Sie schnell von gestern sein.« Er schlug einen neuen zentralen Fokus zur zukünftigen Ausrichtung des Geschäfts vor, der auf einem Konzept der »effektiven Zusammengehörigkeit« basiert und Ziele, Informationen, Netzwerke und Teams umfasst. Als Gründe führt er an, dass »Menschen, die durch ein echtes, ergebnisorientiertes und transparent umsetzbares gemeinsames Ziel geeint sind, größere Erfolge erreichen.«
Employer Branding
Jan Denys, Arbeitsmarktexperte beim weltweiten Personaldienstleister Randstad Group, thematisierte die strategische Frage des Employer Branding. Heute ergeben sich für die Mitarbeiter neue Profile, die durch neue Arbeitsformen bedingt sind. Diese erfordern in solchen Bereichen, wie soziale Medien, Design, Innovation und transdisziplinäres Denken, neue Talente und Fähigkeiten. Denys vermittelte zehn »goldene Einblicke« in die erfolgreiche Personalbeschaffung der heutigen, sich verändernden Welt. Dazu gehören verschiedene Eigenschaften, wie Realismus und Geduld, Mut zum Träumen, ein Auge für Diversität, globales Denken und das Fehlen von Zukunftsangst. Er beschwor die ELF-Teilnehmer, in der Etikettenindustrie ihr Markenbild als Arbeitgeber zu fördern, um Mitarbeiter anzuziehen.
Die Auswirkungen der Digitalisierung
»Alles, was digital sein kann, wird auch digital werden«, stellte Stephan Lechel, Partner bei Porsche Consulting und Leiter des Competence Center des Unternehmens, kompromisslos fest. Er drängte die Delegierten sowie die Druck- und Verpackungsindustrie, »sich selbst grundlegend zu verändern, bevor es andere tun«. Das ist erforderlich, weil die digitale Technologie ein Schlüsselmerkmal ihres Geschäfts werden muss. Hierbei bieten sich vielfältige Möglichkeiten, wie beim Druckangebot und in der Schnittstelle zum Kunden, zur Steigerung der Effizienz von Produktion und Systemen sowie zur Automatisierung von sich wiederholenden Prozessen. Während etwa 75% der im Rahmen der letzten Management-Umfrage von Porsche Consulting befragten Unternehmen angaben, dass sie in diesem Punkt zustimmten, hatten nur 35% bereits eine Digitalisierungsstrategie formuliert und nur 30% die benötigte Kompetenz, diese auch umzusetzen. 52% der Unternehmen sahen in der Zukunft große Chancen für intelligente Verpackungen. Daher müssten Etiketten- und Verpackungsanbieter die Digitalisierung im Interesse einer erfolgreichen Unternehmenszukunft übernehmen und »einen Schwerpunkt auf Nutzenversprechen, Effektivität und Effizienz legen.«
Etiketten und das »Internet der Dinge«
Als Andy Hobsbawm, Mitbegründer und Chief Marketing Officer der Plattform für intelligente Produkte EVRYTHNG sich dem »Internet der Dinge« zuwandte, verlagerte sich der Fokus des Forums noch stärker auf den Bedarf der Marken und des Verpackungs- und Etikettenmarktes. Das »Internet der Dinge« bedeute, dass »jetzt das Zeitalter der intelligenten Produkte angebrochen ist«. Dieses hat die Kommunikation mit dem Kunden und die daraus resultierende Datenerfassung deutlich verändert. Zudem hat es die Effizienz in der Lieferkette und die Bestandsüberwachung verbessert sowie Produktfälschungen und Verluste durch den grauen Markt verringert. Hobsbawm rief die Etikettenindustrie dazu auf »aufzuhören, bei der eigenen Tätigkeit nur die physischen Dimensionen zu sehen«. Etiketten und Verpackungen stellen die digitale Verbindung zwischen dem physischen Produkt und dem cloudbasierten Universum der Echtzeitdaten und Softwareanwendungen dar. Sie sind »Ausgangspunkte« für Dienstleistungen in der Lieferkette bis hin zum Einzelhandel, zu den Verbrauchern und darüber hinaus. Wenn die Etikettenunternehmen nicht herausfinden, wie sie auf diesen Bedarf reagieren und ihre Etiketten in intelligente, digitale Ressourcen umwandeln sollen, dann werden sie von denen, die es können, ausmanövriert und im Wettbewerb geschlagen.
Debatte um die »smarte Agenda«
Anschließend wurden Andy Hobsbawm, Stephan Lechel und Jan Denys von Marc Büttgenbach eingeladen, mit den Delegierten, die über ihr Smartphone interaktiv Fragen stellten, über die Zukunft zu diskutieren. In der lebhaften Debatte wurden viele Themen, darunter der Einsatz der digitalen Interaktion bei B2B-Etikettenanwendungen, die Nutzung digitaler Tools für das Recyceln von Etiketten und wie Web-Roboter, sogenannte Bots, zur Wertschöpfung beitragen können, angesprochen.
Ausblick der Etikettenindustrie auf 2020–2025
Die Delegierten nahmen an einem Management-Workshop teil, bei dem es darum ging, dass die Zukunft weiter ganz oben auf der Tagesordnung der Etikettenindustrie stehen muss. Ebenfalls besprochen wurden Szenarien für die Jahre 2020–2025. Der Workshop wurde geleitet von Paul de Ruijter und Renate Kenter von De Ruijter Strategy. Im Mittelpunkt des Workshops standen ein fiktives Etikettenunternehmen und sein Inhaber sowie die verschiedenen Wege, um in einem Sektor, in dem wichtige Herausforderungen der heutigen Etikettenindustrie, wie Protektionismus, Konsolidierung, technische Umwälzungen und ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften (insbesondere neuer »junger Talente«) zu bewältigen sind, eine ausgeglichene Bilanz zu erreichen. Der Workshop gab den Teilnehmern viele Anregungen, die sie während des abendlichen Dinners im Classic Remise Berlin, einem restaurierten Straßenbahndepot, indem heute eine beeindruckende Sammlung von Oldtimern zu besichtigen ist, vertiefen konnten.
Digitaler DTC-Direktdruck
Eine neue Technologie im Bereich der Produktidentifikation, der digitale Direct-to-Container (DTC) Druck, war das Thema von Corey Reardon, Präsident und CEO des Marktforschungsinstituts AWA Alexander Watson Associates. Er erläuterte die Vor und Nachteile dieser Technologie für Markeninhaber, wie sie in einer kürzlich von AWA durchgeführten Meinungsumfrage zum Ausdruck kamen. Dabei zählte er eine beeindruckende Liste von Herausforderungen auf, die von der Funktionalität und den Lieferfristen über die Kosten bis zu Marketingvorteilen und Nachhaltigkeitsproblemen reichte. Im Weiteren untersuchte er die Auswirkungen des digitalen Direktdrucks auf etablierte Etikettentechnologien und deutete an, dass die Selbstklebeetiketten am stärksten davon betroffen sein würden. Auch nannte Reardon die Endnutzer-Segmente, die die DTC-Technologie höchstwahrscheinlich übernehmen würden, wie Getränke, Wasch- und Reinigungsmittel und Kosmetik, sowie die Gerätehersteller, die in diesem Bereich bereits aktiv sind. Dabei hob er Wachstumstreiber hervor, die die Zukunft dieser potenziell disruptiven Technologie für die Etikettenindustrie bestimmen werden.
Branchenstatistik
Jules Lejeune stellte die Ergebnisse des halbjährlich erscheinenden Marktüberblicks RADAR der FINAT sowie die Verbrauchsstatistik des Verbandes bei Etiketten in Europa vor. Von 2010 bis 2016 ist die Nachfrage nach Etiketten um nahezu 25% angestiegen. Die Ursachen waren ein Wachstum bei den Verbrauchsgütern, insbesondere Lebensmittel, qualitativ hochwertiges Branding sowie der variable Datendruck bei Online-Einkäufen, Prozessautomatisierung und Verbraucherschutz. Im gleichen Zeitraum wurde das regionale Wachstum von Südeuropa dominiert. Allerdings nahm Osteuropa, insbesondere Ungarn, Polen und Rumänien, mit einem relativen kumulativen Wachstum von über 60% eine Spitzenposition ein.
Aussichten für den Digitaldruck in Europa
Den aktuellen Stand und die Aussichten des Digitaldrucks auf dem europäischen Schmalbahn-Markt haben Jennifer Dochstader und David Walsh vom Marktforschungsinstitut LPC in ihrer »Digital Label Study 2017« untersucht. Von den 2000 bereits in Europa installierten Digitaldruckmaschinen sind 76% tonerbasierte und 24% Inkjet-/hybride Modelle. Forschungen weisen jedoch darauf hin, dass der Anteil der Inkjet-Druckmaschinen bis 2022 mit einer Rate von 14,5% pro Jahr zunehmen wird. Obgleich 28% der europäischen Verarbeiter planen, in den kommenden zwei Jahren eine Digitaldruckmaschine zu kaufen, bleiben die Herausforderungen für diese Segment unverändert bestehen. Hohe Betriebskosten, servicebedingte Stillstandzeiten und die mühevolle Suche nach Aufträgen, um die verfügbare Digitaldruckkapazität auszulasten, wurden als die drei größten Probleme genannt. Die Umfrage endete mit einer Einschätzung der Antworten der Markeninhaber zum digitalen Etikettendruck.
Die FINAT Business-Debatte
Anschließend kehrte Paul de Ruijter auf das Podium zurück, um die von den Delegierten vorgeschlagenen Ergebnisse für die Zukunft des fiktiven Unternehmens aus dem Workshop vom Vortag vorzustellen. Danach begrüßte er mit Chris Ellison (Inhaber von OPM Labels and Packaging Group und neuer FINAT-Präsident), Geoff Martin (President CCL Label), Adrian Tippenhauer (CEO All4Labels), und Mike Henry (Executive Vice President, Constantia Flexibles Label Division), vier renommierte Vertreter der globalen Etiketten- und Verpackungsindustrie für die FINAT Business-Debatte. Die vier Experten sprachen über die aktuelle wirtschaftliche Lage, beantworteten die von den Delegierten interaktiv gestellten Fragen und vermittelten praktische Einblicke in ihre Arbeit.
Abschlussbeitrag zu den politischen Rahmenbedingungen
Von den internen Problemen der Branche wechselte die Tagesordnung zu einer allgemeinen Einschätzung der externen Rahmenbedingungen sowie zur Zukunft der wirtschaftlichen und politischen Landschaft Europas. Darüber sprach Joschka Fischer, Vize-Kanzler und deutscher Außenminister von 1998-2005, gegenwärtig Ko-Vorsitzender des Executive Board of the European Council on Foreign Relations und Leiter einer Beratungsgesellschaft in Berlin. Er ist einer der angesehensten Staatsmänner der vergangenen Jahre und hat eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart geschlagen, um eine beeindruckende Vision von der Zukunft zu schaffen. Im Mittelpunkt stand die Notwendigkeit, alle verschiedenen nationalen Kulturen Europas zusammenzubringen. »Europa bedeutet Vielfalt in einer geeinten Front, um seinen weiteren Erfolg und sein Glück friedlich zu schützen und zu fördern. Denn letzten Endes wird es eine Verlagerung der Macht vom Westen in den Osten geben – und wer kümmert sich dann um uns? Unser gemeinsames Schicksal wird sehr wichtig sein!«
Interessante Denkanstöße
Die Delegierten des European Label Forum haben Joschka Fischer mit großem Beifall für eine Rede gedankt, die ihnen sicherlich zahlreiche Denkanstöße gegeben hat. Chris Ellison schloss die offizielle Tagesordnung und bedankte sich ebenfalls bei allen Referenten und den zahlreichen Kunden aus der Lieferkette, die das ELF unterstützt hatten.
Angesichts einer persönlichen Agenda, die so dicht wie nie zuvor gepackt ist, würdigte Chris Ellison »das herausragende Programm des European Label Forum« und ergänzte als neu gewählter FINAT-Präsident begeistert: »Ich freue mich wirklich auf die kommenden zwei Jahre.« (Fotos: Finat)
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