28. Dresdner Verpackungstagung zeigt Wege und Lösungen
Widersprüche, Einsprüche, klare Ansagen und gemeinsame Ziele: Auf der vom Deutschen Verpackungsinstitut e. V. (dvi) veranstalteten Dresdner Verpackungstagung diskutierten am 6.–7. Dezember 2018 rund 180 Ingenieure, Techniker, Kaufleute und Wissenschaftler mit Experten führender Unternehmen, Institutionen und NGOs.
Unter dem Motto »Verpackung in der Diskussion – Widersprüche als Antrieb für Innovationen« zeigte die Tagung unter anderem innovative Lösungen und Tools für die Verpackungsentwicklung und den Abpackprozess. Viel klare Kante gab es auch rund um die spannenden Fachvorträge von Verbraucher- und Umwelt-NGOs sowie Experten aus dem Kunststoffbereich.
Regen Zuspruch erfreute sich die Dresdner Verpackungstagung erneut auch unter den Studierenden. Fast 30 Nachwuchskräfte von Hochschulen aus Berlin, Dresden, Hannover, Leipzig, München und Stuttgart konnten auf der Tagung wertvolle Einblicke in aktuelle Themen ergattern und wertvolle Kontakt knüpfen.
Klare Kante und neue Lösungen – Kernaussagen, Thesen und Argumente von 16 Fachvorträgen auf einen Blick
Innovation bei knappen Ressourcen
Thomas Reissig (Geschäftsführer VerDeSoft GmbH und Michael Hahl (Sustainability and Strategic Innovation Director, Huhtamaki Flexible Packaging) zeigten zu Beginn der Tagung Wege, wie sich der Widerspruch von Innovationen mit ihren meist langen Entwicklungszeiten und begrenzten Ressourcen auflösen lässt.
Verpackungsingenieur und Scrum-Master Hahl gab grundsätzliche Tipps zur Team- und Projektarbeit. So sei der beste Ort für Innovationen oft die gemeinsame Kaffeemaschine. Von großer Bedeutung ist es laut Hahl auch, die Anzahl unterschiedlicher, parallel zu bewältigender Aufgaben kritisch im Blick zu haben. Außerdem müssten die Ergebnisse kontinuierlich mit der Realität verglichen werden. »Gerade in dynamischen Zeiten darf ich nicht zwei Jahre brauchen, um Produkte auf die Straße zu bringen, denn dann sind Markt und Konsumenten schon zwei Jahre weiter und mein Angebot geht eventuell am Bedarf vorbei.« Ein anderer Aspekt, der schnelle Entwicklungszeiten nötig mache, sei die selbstauferlegte Verpflichtung vieler Inverkehrbringer, ihre Verpackungen innerhalb von wenigen Jahren komplett auf Nachhaltigkeit umzustellen. »Da muss ich Wege finden, die Entwicklungszeit von der Idee bis zum ersten verkauften Produkt radikal zu senken, von ein bis zwei Jahren auf einen Monat«, so Hahl.
Wie das gehen kann, zeigte Thomas Reissig in Folge am Beispiel seines Packomobils. Diese »ausgelagerte, mobile Guerilla-Einheit zur Entwicklung von Verpackungen direkt beim Kunden« kommt in Form eines umgebauten Kleintransporters und vereint »in einem ganzheitlichen Ansatz Technologie, Form, Konstruktion, Marke, Grafik und Material« unter einem Dach. Angelehnt an das Scrum-Framework zielt Reissig damit auf agile und flexible Entwicklung. Wichtig ist ihm dabei, »schnell von der Virtualität in die Realität zu kommen, mit Prototypen, Dummies und Mock-Ups bis hin zu industriellen Mustern und Kleinserien«. Früher sei die Verpackungsentwicklung wie ein Hausbau abgelaufen. Heute dagegen sei keine statische Entwicklung mehr möglich. »Der Kunde muss viel mehr und öfter einbezogen werden, um die ›Ergebnisse im Entstehen‹ den sich ändernden Anforderungen und Erwartungen anzupassen. Ich muss das, was ich mache, schnell und oft mit dem Auftraggeber und/oder dem Kunden abgleichen, damit ich auf dem richtigen Weg bleibe.«
Convenience, Warehouse KPI und Nachhaltigkeit
Uwe Streiber (Leiter Verpackungsmanagement Zalando SE) gab zu Anfang seines Vortrags eine Übersicht des Verpackungsmanagements im Unternehmen, das fünf Mitarbeiter beschäftigt. Zwar gebe es nur eine relativ geringe Anzahl verschiedener Verpackungen für Endkunden, dafür aber eine größere Bandbreite entlang des kompletten Prozesses inklusive Retouren und der Intralogistik. Im Jahr 2017 zählte Zalando nach Streibers Angaben rund 80 Mio. Kundensendungen. Eine Zahl, die sich bei 20–25% Wachstum bis 2020 verdoppeln solle. Aktuell verbrauche man jährlich rund 20.000 to Wellpappe, 1500 to Kunststoff sowie 450 to Papier für Rechnungen und Ähnliches. Bis 2020 wolle man bei Zalando alles auf nachhaltige Verpackungen umstellen. Im Bereich Kunststoff gehöre dazu der Wechsel von Virgin Plastic auf PCR-Material. Auch Mehrweg sei ein Thema.
Als einen der größten Treiber bezeichnete Streiber die Lieferzeit. »Es muss schnell gehen! Deshalb haben wir ein breites Lager-Netzwerk mit aktuell 10 Lagern unter anderem in Deutschland, Italien, Frankreich und Polen. Von dort aus werden 17 Länder aus einem Sortiment von 300.000 Artikeln beliefert.«
Zentrales Anliegen sei es, die Komplexität gering zu halten und die Prozesszeiten zu minimieren. Ein Augenmerk habe man daher auf Faktoren wie die Aufbauzeit der Verpackung, aber auch deren Retourenfähigkeit, da auch Retouren wieder geöffnet werden müssten. Deshalb habe beispielsweise die Versandtasche eine zweite Perforation am Boden.
Das Packaging hat für Zalando nach Aussage von Uwe Streiber »eine herausragende Stellung, da sie den physischen Kontakt zwischen Zalando und den Kunden herstellt«. Ein wichtiger Aspekt sei hierbei, die Convenience zu steigern. Dazu gehörten einfaches Öffnen und Wiederverschließen, Henkelsysteme und wenig Leerraum. Die Zufriedenheit der Kunden mit den unterschiedlichen Verpackungen überprüft man bei Zalando mit persönlichen Nachfragen. »So können wir gut feststellen, wo wir nachbessern müssen.«
Holz, Gras, Hanf und Bambus
Interessante Einblicke in das Unternehmen des Tagungssponsors Stora Enso erhielten die Teilnehmer im Kurzvortrag von Rüdiger Nölleke (Sales Director General Packaging Board, links) und Martin Hammer (New Business Development Manager, rechts). Stora Enso produziert jährlich rund 10 Mio. to Material. Alle sechs Minuten rollt ein LKW mit Holz in das Werk. Der Kurzvortrag war Anlass einer angeregten Diskussion mit dem Plenum über Gras, Hanf und Bambus als Alternativmaterialien zu Holz. Aus Sicht von Rüdiger Nölleke werde in diesem Bereich »zwar viel geforscht, aber das Problem sind die mechanischen Eigenschaften. Damit die gewährleistet sind, muss ich eventuell mehr dieser ›alternativen Materialien‹ einsetzen. Bisher ist es in unseren Augen noch keine Alternative – höchstens zu Marketingzwecken.« Eine Ansicht, die nicht unwidersprochen blieb und von vielen in der Mittagspause weiter diskutiert wurde.
Neue Lösungen und Tools für die Praxis
Der Themenblock des Donnerstagnachmittags drehte sich um eine ganzheitliche Betrachtung der Verpackung und das gleichzeitige Beherrschen auch von Details. In sieben Vorträgen ging es um Verkleben, Ultraschall, konsistente Farben, Oberflächenfunktionalisierung, Messgeräte, Qualitätskontrollen und Umreifungstechnik.
Verkleben gestern, heute und morgen
Martin Kotecki (Technical Sales Manager Packaging, Baumer hhs GmbH) zeigte den Klebstoffauftrag als einen hochpräzisen, industriellen Prozess, der einen entscheidenden Prozess für die Sekundärverpackung darstelle. Entlang von Themen wie Dispersionsklebstoff, Hot Melt, kontaktlosem Leimauftrag, Elektroventilen und anderem mehr stellte Kotecki die permanente Weiterentwicklung der Technologie dar. »Neueste Innovationen ermöglichen eine nachhaltige Verpackungsproduktion, die immer weniger Klebstoff braucht, Wartungsaufwendungen reduziert und hohe Maschinenverfügbarkeit bietet«, so Martin Kotecki. Für die Verpackungsindustrie von morgen sieht der Experte »50% weniger Klebstoffverbrauch, 50% weniger Kunststoffanteile, 100% weniger Druckluftverbrauch und insgesamt eine Reduzierung der Produktionskosten.« Bei ersten Herstellern werde die Umstellung auf die neuste Klebetechnik bereits umgesetzt.
Mit Ultraschall siegeln
Einen spannenden Crash-Kurs in Sachen Ultraschall gab Robert Hueber (Geschäftsbereichsleiter Packaging, Herrmann Ultraschalltechnik GmbH & Co. KG) in seinem Vortrag »Einstoffverpackungen erfolgreich siegeln mit Ultraschall«. Im Fazit stellte er eine Reihe von Vorteilen hervor: »Garantiert dichte Nähte von Nasstierfutter bis hin zu Oliven, Sauerkraut und Säften; hohe Nahtqualität trotz schwieriger Abfüllbedingungen (Heißabfüllung, eiskalte Produkte, aseptische und Retort-Beutel); digitale Überwachbarkeit der Nahtqualität inklusive Dokumentation von Prozessparametern und Störungserkennung sowie eine exzellente Schweißbarkeit von Mono- und PP-Multilayer-Packstoffen einschließlich neuartiger recycelbarer Mono-Standbeutel.«
Konsistente Markenfarben
Konsistente Markenfarben für Verpackungen waren das Thema von Dr. Anna Zumbülte (Innovation Management EMEA, Matthews Europe GmbH & Co. KG). Sie betonte die Bedeutung von Farbe, die »die Markenerkennung um 80% erhöht«. Außerdem gelte: Wenn die Farbe nicht stimmt, sieht alles falsch aus. Zumbülte zeigte auf, wie dieselbe Farbe in unterschiedlichen Druckprozessen und auf unterschiedlichen Substraten unterschiedliche Resultate zeigen kann. »Im Regal stehen sie dann nebeneinander im direkten Vergleich und der Unterschied fällt stark auf.« Zur Vermeidung empfiehlt die Expertin, auf vier Bausteine zu setzen, um konsistente Markenfarben zu entwickeln: Entwicklung (Farb-Rezeptur), Integration (in die Lieferkette), Pflege (immer aktuell) und Kontrolle (beim Druckvorgang und im Endprodukt).
Oberflächenfunktionalisierung
Möglichkeiten und Beispiele zur Oberflächenfunktionalisierung für Verpackungsmaterialien zeigt in ihrem Vortrag Dr. Kerstin Horn (Projektleiterin der INNOVENT e.V. Technologieentwicklung). Bewusst wurde hier der »Blick von außen« gewählt, der nicht primär auf Verpackungen abzielt, aber grundsätzliche Möglichkeiten aufzeigt, Oberflächen zu verändern, um sie für bestimmte Anwendungen einsetzbar zu machen. Ihr Fazit: »Innovative Oberflächentechnologien wie atmosphärische Plasmen, Beflammung und Sol-Gel-Beschichtungen bieten großes Potenzial für Anwendungen in der Verpackungsindustrie«. Als Beispiele nannte Horn chemische Prozesse zur Reinigung, Desinfektion und Oberflächenmodifizierung, die Erzeugung neuartiger Oberflächeneigenschaften für konkrete Anforderungen und die Nutzung der Oberflächentechnologien für die Inline-prozessfähige, kostengünstige Veredelung, Reinheit und Funktionalisierung von Verpackungsmaterialien ohne wesentliche chemische Abfallprodukte.
Messgerät für Siegel-, Laminier- oder Kaschierfestigkeit
Ein neu entwickeltes Handgerät zur Messung der Siegel-, Laminier- oder Kaschierfestigkeit stand im Mittelpunkt des Vortrags von Dipl.-Ing. Beatrix Genest (Prokuristin und Leiterin F&E, SDI Sächsisches Institut für die Druckindustrie). DasGerät misst die Öffnungskräfte peelbarer, durch Siegelnaht verschlossener Verpackungen und generell die Trennkräften miteinander verklebter, verschweißter oder laminierter Materialien. Der aufgezeichnete Kraftverlauf dient der produktionsbegleitenden Qualitätssicherung sowie der Produktentwicklung. Das Messgerät entstand im Rahmen des F&E-Projektes MF 140052, welches durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wurde. Es ist mit aktuell EUR 1300 kostengünstig, bereits auf dem Markt und kann auch geliehen werden. Die zahlreichen Nachfragen aus dem Teilnehmerkreis zeigten, dass Beatrix Genest mit ihrem innovativen Tool einen Punkt getroffen hatte.
Inspektion und Qualitätskontrolle
Wie man verpackte Produkte richtig inspiziert, zeigte Jens Lukas (Head of Service Produktinspektion, Mettler Toledo Garvens GmbH) in seinem Vortrag. Im Zentrum stand dabei die Produktsicherheit, also die zuverlässige Erkennung von Fremdkörpern und Beschädigungen bei verpackten Produkten. Lukas stellte die vier Technologien Wiegen, visuelle Inspektion, Metalldetektion und Röntgen vor, die sein Unternehmen auch zu individuell abgestimmten Multi-Technologie-Systemen kombinieren könne.
Innovatives Umreifen
Um neue Möglichkeiten beim Umreifen als »minimale Verpackung, auch mit biobasierten Kunststoffen«, drehte sich der Vortrag von Alfred Kugler (Geschäftsführer Mosca GmbH). Das Umreifungsband sorge »als nachhaltige, minimale Verpackungslösung dafür, dass sich der Verpackungsabfall reduziert und senkt die Prozesskosten der Verpackung. Sie ermöglicht einen ressourcenschonenden Verpackungsprozess«, so Kugler. Dazu trügen beispielsweise die Verwendung von »abfalllosen« Endlosbändern und das Ultraschallschweißen bei, das im Gegensatz zum Reibschweißen deutlich weniger Materialfläche benötige. Kugler zeigte Anwendungsbereiche sowie Fallbeispiele und stellte das Recycling über den PET-Kreislauf dar. Als neue Möglichkeit biete man auch Umreifungsbänder aus PLA an, die sich laut Kugler innerhalb von 12 Wochen industrieller Kompostierung komplett zersetzen, aktuell jedoch noch fünfmal teurer sind.
Zartes Pflänzchen Verpackungsgesetz
Katharina Istel (Referentin Ressourcenpolitik, NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V.) formulierte in ihrem Vortrag »Verpackungsgesetz – Problem gelöst?« Forderungen an die Verpackungsindustrie. Nach ihrer Ansicht »bringt das Verpackungsgesetz nicht so wahnsinnig viel Innovation«. Es löse die Probleme nicht wirklich und sei eher »ein zartes Pflänzchen«. Der NABU fordert dagegen absolute Abfallvermeidungsziele, bundesweite Wertstofftonnen, mehr Anreize zu Abfallvermeidung und Materialeffizienz, verbindliche Mehrwegquoten und mehr Klarheit bei Begriffen wie »Recyclat«, »Bioplastik«, »kompostierbar« und »abbaubar«.
Für Katharina Istel ist klar, dass »wir ein Littering-Problem und ein Mülltrennungsproblem haben. Aber daran sind nicht nur die Verbraucher schuld. 63% von Obst und Gemüse sind vorverpackt. Da hat sich in den letzten Jahren nichts geändert.« Dem Argument, die Verbraucher wollten das so, stellte Istel eine klare Forderung entgegen: »Es muss Unverpacktes in allen Läden geben. Niemand hat Zeit, in zwei oder drei verschiedene Läden zum Einkaufen zu gehen.« Außerdem stünden die Hersteller und Inverkehrbringer in der Pflicht, da »Verbraucher viele Sachen nicht gut beurteilen können, z B. wenn es um unnötig starke Folien geht, schwarze Verpackungen oder den Umstand, dass Pfand nicht gleich Mehrweg ist«.
Istel forderte dazu auf, klar zu differenzieren, was wirklich wichtig sei für Produktschutz und Haltbarkeit. »Produktschutz darf kein Rundumargument sein für alles, was man tut«.
Eher kritisch blickte die NABU-Vertreterin auch auf die Marketingfunktionen der Verpackung: »Am liebsten wäre uns, wenn Verpackung nur Produktschutz wäre.«
Die Verpackungsindustrie nahm Katharina Istel klar in die (weltweite) Pflicht. »Bei uns sitzen die größten Entwickler und Hersteller. Sie tragen Verantwortung. Aber Sie sind natürlich nicht alleine Schuld an der Misere«. Teil der Verantwortung sei auch, nicht nur auf CO2-Einsparungen zu schauen. Es gehe auch um Aspekte wie Flächennutzung und Biodiversität.
Fortschritt und Bewegung erhofft sich der NABU nicht zuletzt von der Zusammenarbeit aller Stakeholder. Die Recyclat-Initiative von Werner & Mertz sei ein Beispiel, an dem auch der NABU beteiligt sei. »Man kann mit dem Müll aus dem gelben Sack mehr machen, als zurzeit Standard ist. Dazu braucht es aber Sie! Wir haben das technische Know-how nicht. Sie sind die einzigen, die erforschen und sagen können, welche Varianten es gibt, um die gleichen Funktionen hinzubekommen und dabei Recyclingfähigkeit und Materialeffizienz zusammen zu bekommen. Wir hoffen, dass wir im Dialog vorankommen. Es ist gut, dass die Verpackung in den Fokus rückt. Verpackungen sind wichtig, aber wir müssen differenzieren. An diesen und jenen Stellen kann man es besser machen.«
Verpackungsdesign vor dem Hintergrund des VerpackG
Recyclingfähigkeit als Leitkriterium stellte Dr. Hans-Bernhard Rhein (Geschäftsführer Umweltkanzlei Dr. Rhein – Beratungs- und Prüfgesellschaft mbH) in den Mittelpunkt seines detailreichen Vortrags. Dafür werde an der Entwicklung eines Moduls gearbeitet, mit dem Hersteller ihre Verpackungen selber ökologisch einstufen könnten. »Es kann nicht sein, dass ich dafür immer eine aufwändige Expertenevaluierung brauche«, so Rhein.
Eine klare Position bezog der Experte gegenüber den sogenannten Biokunststoffen: »Vergessen Sie diesen ganzen Biokram. Unser Entsorgungssystem ist absolut nicht geeignet, biologisch abbaubare Kunststoffe mit zu erfassen. Man müsste eigene Sammelsysteme schaffen.« Recyclingfähigkeit sei zwar eine materialbezogene Eigenschaft, gleichzeitig greife das aber zu kurz. »Man muss auch die Konstruktion der Verpackung mit einbeziehen. Wenn eine Verpackung aus zwei voll recyclingfähigen Materialien besteht, die in unterschiedliche Kreisläufe müssen, aber nicht detektiert und getrennt werden können, dann ist das Endprodukt eben gar nicht recyclingfähig.« Derzeit sei noch unklar, wie man die qualitative Eigenschaft »Recyclingfähigkeit« darstellen, bewerten und dann auch abbilden könne. Außerdem stelle sich die Frage: »Auf welche Praxis der Entsorgung beziehen wir das? Aktuell haben maximal 40% der Anlagen eine manuelle Sortierung per Hand. Da kann vieles nicht detektiert und sortiert werden.«
Rhein konstatierte einen Druck, von Verbunden wegzukommen und stellte die Frage, ob ein 8fach-Verbund Sinn macht, nur damit Hackfleisch 6 Monate lang aufbewahrt werden könne? Möglich und sinnvoll sei hingegen die Minimierung von Zusatzstoffen. »Viele Zusatzstoffe haben heute nur noch eine ›Scheinfunktion‹, die im Grunde nicht nötig sind. Farbstoffe, Weichmacher zum Beispiel. Die beeinflussen den Recyclingprozess zum Teil deutlich«, gab der Experte zu verstehen.
Über Aspekte wie Restentleerbarkeit, Witterungseinflüsse beim Recycling und Störfaktoren bei der stofflichen Verwertung von Kunststoffen kam Rhein auch auf den »Faktor Mensch« zu sprechen: »Den Bürger kann man aus der Rechnung rausnehmen. Das klappt einfach nicht. Der schaut nicht auf Logos und trennt Materialien, um sie getrennt zu entsorgen. Vergessen Sie das. In Bayern funktioniert es gut, weil man die Sachen dort selbst auf die Höfe bringen muss und von den Experten vor Ort eingenordet wird. Aber: Dort wird als Folge auch nur halb so viel Material gesammelt, denn es ist vielen Verbrauchern einfach zu zeitaufwendig.«
Laserkennzeichnung
Viel Beachtung erfuhr auch der Vortrag von Richard Neuhoff (Geschäftsführer EcoMark GmbH) über Erfahrungen mit der Laserkennzeichnung von Obst und Gemüse. Unter der Fragestellung »Muss sich die Verpackungsindustrie fürchten?« gab Neuhoff den Teilnehmern spannende Einblicke in die relativ junge Technologie. Der Experte zeigte sich überzeugt, dass sich Laserkennzeichnung bei geeigneten Produkten durchsetzen wird, nicht zuletzt aufgrund der Kostenvorteile. Während die Kunststoffverpackung für 200 Gramm Ingwer im Durchschnitt EUR 0,20 koste, erfordere das Branding nur EUR 0,005. Auch Geschwindigkeit spiele eine Rolle. So benötige man nur 150 Millisekunden, um das Wort »Bio« auf eine Kiwi zu schreiben. Auch kassentaugliche Codes könnten direkt auf das Produkt gebrandet werden.
Weitere Vorteile aus Sicht von Neuhoff: »Keine Sticker, die abfallen können oder entfernt werden müssen. Keine Fehlererkennung an der Kasse, kein Klebstoff am Produkt, weniger Verluste durch verdorbene Ware und weniger Verpackungsmaterial, da die Produkte einzeln gekennzeichnet und ausgelegt werden können und nicht zuletzt der Entfall von Lieferzeiten und Lagerhaltungskosten für Etiketten und Packmittel.«
Kunststoffe sind gut für die Umwelt
Ein Paukenschlag gelang Dr. Kurt Stark (Director Business Development, Buergofol GmbH) mit seinem Vortrag »Gefährden Kunststoffe unsere Zukunft?«. Sehr engagiert und untermauert von Zahlen warf Stark einen aktuell eher ungewöhnlichen Blick auf das Material Kunststoff. Betrachte man die ökologische Belastung, die bei der Produktion von Produkten und Lebensmitteln anfalle, müsse man klar konstatieren, dass »die Klimaerwärmung ohne Kunststoffe noch viel schlimmer wäre. Kunststoffe sind das Beste, was uns passieren kann.« Denn sie schützen laut Stark die Produkte und sorgen dafür, dass die ökologischen Investitionen, die in ihnen stecken, nicht verloren gehen.
Stoffliches Recycling müsse im Bereich Kunststoff »nicht auf Gedeih und Verderb durchgesetzt werden. Ich kann auch thermisch verwerten. Das machen wir mit dem meisten Erdöl ohnehin. Und ich spare mir in diesem Fall zusätzlich die chemische Industrie«, so Stark. Die Verpackung hätte zu diesem Zeitpunkt bereits ihren Job erledigt und erführe in der thermischen Verwertung einen Zweitnutzen.
Das neue Verpackungsgesetz bezeichnete Stark als »Super Idee, die aber noch Jahrzehnte dauern wird«. Ein Weg, der schnell und nachhaltig Erfolg zeige, sei das Pflanzen von Bäumen zum Binden von CO2. „Wir haben in Deutschland einen Ausstoß von 840 Mio. to CO2 im Jahr. Unsere Wälder binden aber nur 220 Mio. to.« Auch Biopolymeren steht Stark kritisch gegenüber: »Das ist der falsche Weg. Kompostierung kostet Zeit, Geld und Energie.«
Kurt Stark betonte, wie wichtig es sei, die Probleme unserer Zeit nicht nur zu erkennen, sondern auch anzuerkennen. »Es ist höchste Zeit, etwas gegen die akuten globalen Probleme wie Vermüllung und Emission von Treibhausgasen zu tun. Man kann diese Fakten nicht verleugnen! Zuallererst sollten aber die größten ›Übeltäter‹ bekehrt werden: Asien! Da brennt es!« Aber auch in Europa gebe es noch viel Raum für Verbesserungen. Kurt Stark: »Umwelt- und Klimaziele können nämlich gar nicht ehrgeizig genug sein. Der Mensch braucht die Erde. Und wie ist es umgekehrt?«
Verbraucher wollen alles!
Energisch und mitreißend war auch der Abschlussvortrag der 28. Dresdner Verpackungstagung. Georg Abel (Bundesgeschäftsführer der Verbraucher Initiative e.V. [Bundesverband]), nahm die Teilnehmer unter dem Titel »Verbraucher wollen alles – zum Umgang mit Verbrauchererwartungen« mit auf einen Parforceritt. Abel zeigt die Macht der Verbraucher auf, zeichnete ein klares und detailreiches Bild der Verbrauchererwartungen und thematisierte die Aspekte der Information und zielgruppenspezifischen Kommunikation mit ihren zahlreichen Widersprüchen, Problemen und Herausforderungen.
»Die Bilder vermüllter Meere schockt die Leute. Alle Akteure haben erkannt, dass Verpackung ein absolutes Thema ist. Die Verpackungsindustrie kann nun entscheiden: Ist es ein Werte-Thema oder ein Bashing-Thema? Natürlich kann man erklären, warum Bio-Obst und -Gemüse eingepackt ist. Aber niemand will das hören. Die Leute wollen ein überzeugendes Gesamtkonzept. Schnüren Sie ein schlüssiges Gesamtkonzept aus Produktqualität und guter Verpackung. Die Akzeptanz für innovative Verpackungsmodelle ist beim Verbraucher vorhanden«, so Abel. Kontraproduktiv weil verwirrend sei hingegen die Vielzahl unterschiedlichster Ansätze.
Für die Umsetzung brauche es strategische Allianzen mit Verpackungs-Profis und Themenallianzen. »Laden Sie auch die Umweltorganisationen, die Verbraucher etc. ein, teilzunehmen. Alle müssen an einen gemeinsamen Tisch.«
Fazit & Save the Date
»Der gemeinsame Tisch war in diesem Fall unsere Tagung«, freut sich dvi-Geschäftsführer Winfried Batzke. »Wir haben die Dresdner Verpackungstagung als Netzwerk-Treffpunkt und Dialog-Plattform konzipiert, die entscheidende Fragen diskutiert, innovative Lösungen präsentiert, den Horizont erweitert und dabei praktischen Mehrwert vermittelt. Ich denke, das ist auch dieses Jahr dank der Experten und dem starken Input unserer Teilnehmer wieder gelungen.«
Die nächste Dresdner Verpackungstagung findet am 5.–6. Dezember 2019 statt. (Fotos: André Wagenzik für dvi)